Wirtschaft und Gesellschaft

»Wir könnten dem Ziel von fairen Finanzmärkten viel näher sein.« Gerhard Schick

Der Finanzmarkt zieht uns das Geld aus der Tasche, sagt Gerhard Schick. Unfairer Umgang mit Sparvermögen und unserer Altersvorsorge, gigantischer Steuerbetrug und dreiste Immobilienspekulation machen uns das Leben schwer. Die Finanzindustrie ist zu groß, zu mächtig und zu intransparent. Das müssen wir ändern, fordert Schick. Wie es gehen kann, sagt erklärt er in seinem neuen Buch, über das er im Interview mit campus.de spricht.

Steuerbetrug, Spekulationen, Crash-Gefahr auf Kosten der Bürger. Sie fordern, die Finanzwirtschaft stärker staatlich zu kontrollieren. Wie geht das?

Gerhard Schick: Vor allem mit einem stärkeren politischen Willen. Denn wir könnten dem Ziel von fairen Finanzmärkten viel näher sein. Nehmen Sie CumEx. Da wurden Milliarden an Steuerrückzahlungen getätigt, ohne dass die Steuer vorher bezahlt worden war. Das waren illegale Praktiken zu Lasten von uns allen. Doch zentrale Teile der Politik und der Aufsicht haben das wider besseres Wissen jahrelang laufen lassen. Bis heute wurden nicht ausreichend Konsequenzen aus diesem Steuerraub gezogen. Klar, dass sich der normale Steuerzahler fragt: Warum bin ich eigentlich so blöd und finanziere unseren Sozialstaat, wenn viel Reichere sich nicht nur aus dem Staub machen, sondern unsere Steuergelder teils dem Staat auch noch aus der Tasche ziehen?

 

Finanzkrisen sind nicht allein national. Können wir eine Lösung überhaupt auf Länder- oder Europaebene denken?

Gerhard Schick: Ja und nein. Es gibt Themen, da brauchen wir globale Lösungen, um ein stabileres Finanzsystem für die Menschen zu haben. Keine Frage. Manches muss man wiederum europäisch lösen. Aber viele Probleme sind in Deutschland hausgemacht. Zum Beispiel dürfen problematische Finanzprodukte bei uns verkauft werden, die in anderen Ländern verboten sind. Andere Länder bestrafen Banken härter als wir.

 

Agiert die Finanzwirtschaft tatsächlich kriminell? Nennen Sie uns bitte ein Beispiel.

Gerhard Schick: Natürlich ist die Finanzwirtschaft nicht per se kriminell, aber leider ein viel zu großer Teil von ihr. Bestes Beispiel ist Wirecard. Wie kann es sein, dass ein Dax-Konzern so lange windige Geschäfte machen kann? Hinzu kommen die vielen Geldwäsche-Skandale bei Banken. Ein weiteres Beispiel sind Anlagebetrugsfälle. Diese führen immer wieder zu existenziellen Krisen bei Menschen, die große Teile ihrer Altersvorsorge verlieren. Hunderttausende sind da in den letzten Jahren Opfer gewesen. Das müssen wir stoppen.

 

An wen richtet sich Ihr Buch?

Gerhard Schick: Das Buch zielt nicht auf Expertenkreise. Es soll die Menschen ansprechen, die spätestens seit der Finanzkrise ein gewisses Unbehagen gegenüber der Finanzindustrie haben oder die persönlich in den letzten Jahren Grund hatten, sich über konkrete Finanzdienstleister aufzuregen. Anhand von Alltagsthemen wie Mieten, Altersvorsorge, Klima und soziale Ungleichheit wird aufgezeigt, wie die Fehlentwicklungen in der Finanzbranche für uns alle zum Problem werden und was wir dagegen tun können. Denn ich halte eine Finanzwende nicht nur für nötig, sondern auch für möglich.

 

Gerhard Schick, promovierter Volkswirt, ist Vorstand des Vereins Finanzwende. Von 2005 bis 2018 war er Mitglied des Bundestages, ab September 2007 finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, ab 2011 Mitglied im Finanzmarktgremium des Deutschen Bundestages. 2014 hat er bei Campus sein Buch »Machtwirtschaft, nein danke!« veröffentlicht.

 

Sie möchten dieses Interview zweitverwerten? Wenden Sie sich bitte an unsere Online-Redakteurin Nina Schellhase (schellhase@campus.de)

 

20.08.2020

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