Wirtschaft und Gesellschaft

»China hat längst in vielen Zukunftstechnologien aufgeholt und ist zumindest mit den USA auf Augenhöhe« Wolfgang Hirn

USA und China befinden sich im Tech-Krieg, sagt Chinaexperte Wolfgang Hirn. Worum genau gekämpft wird, wer die Nase in welchen Technologiefeldern vorn hat und welche Rolle Europa dabei spielt, erklärt er ausführlich in seinem Buch »Der Tech-Krieg«. Einen Überblick gewinnen Sie bereits hier im Interview mit campus.de

Unser Chinabild – auch das vieler Politiker – ist nicht besonders aktuell. Wie würden Sie den Status quo der Weltmacht beschreiben?

Wolfgang Hirn: Viele glauben immer noch, dass China unsere Technologie klaut und wir uns deshalb uns vor diesen Angriffen schützen müssen. Das war vielleicht früher mal so, aber inzwischen hat China in vielen Zukunftstechnologien längst aufgeholt und ist zumindest mit den USA auf Augenhöhe.

 

Zwischen USA und China tobt ein Tech-Krieg? Wer hat wem den Krieg erklärt?

Wolfgang Hirn: Es hat schon unter Donald Trumps Präsidentschaft angefangen. Er startete zunächst mit dem Handelskrieg, indem er hohe Strafzölle auf chinesische Produkte erhob. Später sanktionierte er Chinas High-Tech-Konzerne wie zum Beispiel Huawei. Sein Nachfolger Biden setzte die Trumpsche China-Politik fort und verschärfte sie sogar noch.  An deutlichsten ist das bei den Chips erkennbar. Biden hat richtig erkannt, dass dies die Achillesferse der Chinesen ist, die bei hochwertigen Chips vom Ausland abhängig sind. Deshalb versucht er China von der Chip-Zufuhr abzuschneiden.

 

Was sind die direkten Konsequenzen?

Wolfgang Hirn: Kurzfristig wird Chinas technologische Aufholjagd durch diese Sanktionen leiden. Aber mittelfristig wird China eher gestärkt aus dieser Auseinandersetzung hervorgehen, weil es seine Investitionen in die neuen Technologien massiv verstärkt und damit versucht, vom Ausland unabhängiger zu werden. Global gesehen besteht die Gefahr, dass sich zwei Technologiewelten entwickeln – eine westliche und eine chinesische. Es findet dadurch auch immer weniger Austausch unter den Wissenschaftlern beider Welten statt. Dabei bräuchten wir angesichts der großen Menschheitsprobleme wie Klimawandel, Gesundheit und Ernährung mehr Kooperation unter den Wissenschaftlern und nicht weniger.

 

Sie analysieren in ihrem Buch verschiedene Technologie-Felder wie Künstliche Intelligenz, Energie und Verkehr, Raumfahrt oder Biotech und Medizin, auf denen Sie die USA und China vergleichen. Gibt es eine klare Platzierung oder ist es ein Kopf an Kopf Rennen?

Wolfgang Hirn: Es ist allgemein gesprochen eher ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Wenn man allerdings die einzelnen Technologien analysiert gibt es Bereiche, wo die USA vorne liegen, in anderen wiederum China. Die USA sehe ich bei Künstlicher Intelligenz und Biotech vorne, während ich China im Bereich der Digitalisierung sowie dem weiten Feld von Energie und Verkehr an der Spitze der Entwicklung sehe.

 

Welche Rolle spielt Europa aktuell in diesem Kampf der Giganten?

Wolfgang Hirn: Europa ist leider nur abgeschlagener Dritter. An deutlichsten sieht man dies bei der Digitalisierung und bei der Chip-Produktion. Aber auch bei der Elektromobilität und dem autonomen Fahren fahren wir hinterher. In Europa fehlt es – im Gegensatz zu China und den USA – an Geld, entrepreneurial spririt sowie einer gewissen Technologie-Begeisterung. Wir in Europa sehen eher die Gefahren von neuen Technologien und versuchen sie deshalb zu regulieren. Die EU ist deshalb inzwischen eine Regulierungsmacht, aber das wird nicht ausreichen, um mit den großen Technologiemächten mitzuspielen. Schiedsrichter gewinnen keine Spiele.

 

Die Europäische Union, schreiben sie, steht vor einer schwierigen Wahl: Will sie weiter an der Seite der USA stehen oder eher eine neutrale Position einnehmen und versuchen, den Streit der Weltmächte zu deeskalieren – was halten Sie für die bessere Alternative?

Wolfgang Hirn: Ich bin für ein strategisch unabhängiges Europa im Sinne von Emmanuel Macron. Aber diese Position ist derzeit in der EU nicht mehrheitsfähig. Wir haben viele gemeinsame Werte mit dem zumindest Biden‘schen Amerika, aber wir haben gerade im wirtschaftlichen Bereich nicht die gleichen Interessen. Dies zu verstehen fällt offenbar vielen europäischen Politikern schwer. Aber nach dem 5. November, dem Tag der Wahl des neuen US-Präsidenten, werden die Karten neu gemischt, sollte Trump an die Macht kommen. Spätestens dann muss sich Europa auf seine Interessen zurückbesinnen.

Sie beschäftigen sich seit langem mit China – gibt es etwas, das auch Sie während der Recherchen zu Ihrem Buch überrascht hat?

Wolfgang Hirn: Wie schnell China in vielen Technologien aufgeholt hat und weiter aufholt. Und noch überraschender: Wie wenig das hierzulande registriert wird.

 

Wolfgang Hirn studierte Volkswirtschaftslehre und Politische Wissenschaften in Tübingen. Nach Stationen als Wirtschaftsredakteur arbeitete er viele Jahre als Reporter beim manager magazin. Seit 1986 reist er regelmäßig nach China, ist Autor des Bestsellers »Herausforderung China« (2005) und veröffentlichte bei Campus »Chinas Bosse« (2018) und »Shenzhen« (2020). Er ist Kopf des Infoportals CHINAHIRN (www.chinahirn.de) und lebt in Berlin.

 

Sie möchten dieses Interview zweitverwerten? Wenden Sie sich bitte an Nina Schellhase (schellhase@campus.de)

 

05.03.2024

Wirtschaft & Gesellschaft

Der Tech-Krieg
Der Tech-Krieg
Hardcover gebunden
29,00 € inkl. Mwst.