Karriere

»Das Buch ist ein Weckruf und eine Einladung zugleich.« Herken, Sontheim-Leven, Weiguny

Von blöden Sprüchen über gezielte Fiesheit und Übergriffigkeit bis zu unfairen männlichen Allianzen: Wie kann es sein, dass Frauen es ganz nach oben schaffen und dabei auch heute noch regelmäßig Unglaubliches erleben müssen? Anna Sophie Herken, Christina Sontheim-Leven und Bettina Weiguny berichten, wie Topmanagerinnen sich in den männlichen Machtgebieten der Wirtschaft gegen alltäglichen Sexismus und systemische Hürden behaupten. Im Interview erzählen Sie über ihr Buch und die damit verbundene Vision.

In ihrem Buch »Machtgebiete« zeigen Sie, was Mangerinnen und Frauen in Führungspositionen alltäglich erleben – von Sexismus über strukturelle Ungerechtigkeit über unfaire männlichen Allianzen. Wieso brauchen wir gerade 2025 dieses Buch?

Herken/Sontheim/Weiguny: Weil wir uns nicht länger einreden sollten, dass Gleichstellung »nur noch eine Frage der Zeit« sei. Die Realität zeigt: Nicht nur auf dem Weg dorthin, sondern auch wenn Frauen in Führungspositionen angekommen sind, erleben sie noch immer strukturelle Benachteiligung – subtil wie offen. Gerade 2025, in einer Zeit tiefgreifender Transformationen und einer bedenklichen, neu erstarkenden »Maskulinität«, braucht es Stimmen, die diese systemischen Ungleichheiten benennen, sichtbar machen – und verändern wollen.

»Machtgebiete« ist keine einzelne Stimme, sondern die kraftvolle Stimme von über 50 Top-Managerinnen, die dazu beitragen wollen. Das Buch ist ein Weckruf und eine Einladung zugleich: für mehr offenen Dialog über das, was auch in den Top-Etagen noch verbessert werden kann, für strukturellen Wandel, der zum gesamtwirtschaftlichen Aufschwung beitragen kann und für die Anerkennung weiblicher Perspektiven auf Führung.

 

Frauen tragen gleichberechtigt zum wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen bei, werden strukturell aber immer noch ungleich behandelt. Was fehlt für den entscheidenden Wandel: das »Umparken im Kopf« oder sind es die (gesetzlichen) gerechten Rahmenbedingungen, die fehlen?

Herken/Sontheim/Weiguny: Beides. Wir brauchen das »Umparken im Kopf«, aber auf einem klar markierten gesetzlichen Parkplatz. Eine neue Haltung muss über verbindliche Strukturen gestützt und verstetigt werden, sonst bleibt gut gemeint ohne nachhaltige Wirkung – und verpufft. Umgekehrt helfen alle Quoten und Regelwerke nicht, wenn die alten Denkmuster weiterwirken. Entscheidend ist, dass wir beides zusammendenken: Haltung und Handlung, kulturellen Wandel und rechtlich fundierte Gleichstellung.

 

Trotz des Gleichbehandlungsgesetzes und leicht steigenden Zahlen von Frauen in Führungspositionen scheinen wir zwischenmenschlich noch in den 1990er Jahren stehengeblieben zu sein. Sehen Sie besondere Versäumnisse?

Herken/Sontheim/Weiguny: Strukturelle Ungleichheiten in der Arbeitswelt leben nicht nur in Zahlen, sondern auch in Erzählungen, Allianzen und Machtspielen weiter. Während wir formal - ehrlicherweise kleine – Fortschritte feiern, fehlen vielerorts echte Auseinandersetzungen mit Rollenbildern, Sprache und männlich geprägten Machtzirkeln. Besonders hartnäckig sind jene kulturellen Codes, die suggerieren, Frauen müssten sich »anpassen«, statt dass das System an sich hinterfragt wird. Eine mutigere Politik, Männer in Führungsetagen, die angstfrei als »Allies« das Thema vorantreiben, davon sehen wir noch zu wenig.

 

Sie wünschen sich, dass die Generation ihrer Töchter sich die »blöden Sprüche« nicht mehr anhören muss und sich junge Frauen ganz selbstverständlich auf den CEO-Posten bewerben. Welchen Rat geben Sie nachwachsenden Führungskräften (vielleicht auch Männern und Frauen) für den Eintritt in die »Machtgebiete«?

Herken/Sontheim/Weiguny: Sucht Euch den Eintritt in die Machtgebiete, denn dort könnt ihr eine neue Welt mitgestalten. Geht mutig hinein, aber nicht naiv. Machtgebiete sind selten neutral – sie haben eigene Regeln, blinde Flecken und manchmal versteckte Stolperfallen. Wer neu dazukommt, muss sie nicht übernehmen, aber sollte sie verstehen. Unser Rat: Beobachtet genau, stellt den richtigen Menschen die richtigen Fragen – und vergesst nie, dass ihr mit eurem Blick von außen oft mehr seht als die, die schon lange drin sind.

Dann baut euch ein starkes Netzwerk, intern wie extern,denn das hilft Euch im Notfall weiter. Und es sollten definitiv nicht rein Frauen-Netzwerke sein! Und bleibt bei euch: Authentizität ist keine Schwäche, sondern ein strategischer Vorteil. Das bestätigen auch viele unserer interviewten Frauen. Wer sich nicht verbiegt, verschleißt langsamer und wirkt langfristig. Führung heißt nicht, sich einzufügen – sondern Räume zu schaffen, in denen andere wachsen können. Auch ihr selbst!

 

Sie vernetzen sich regelmäßig mit anderen weiblichen Führungskräften. Was wäre ein erster einfacher »Hack«, für eine Managerin in einer (neuen) Führungsposition, die mit übergriffigem oder unpassendem Verhalten der Kollegen konfrontiert ist? 

Herken/Sontheim/Weiguny: Wir raten zur klugen (!) Offensive. Wer schweigt, schützt nicht sich selbst, sondern das übergriffige Verhalten der anderen. Ein erster »Hack« ist: Die Situation sofort spiegeln – klar, ruhig, sachlich. Zum Beispiel: »Ich finde diesen Kommentar unangebracht. Bitte lassen Sie das.“ Oder „So möchte ich in diesem Rahmen nicht angesprochen werden.« Das bricht den Moment, ohne Eskalation. Oder den Ball spielerisch zurückgeben: »Wie meinen Sie das genau? Was haben Sie da konkret vor Augen?« Jetzt muss der andere reagieren, Gegenfragen irritieren das Gegenüber.  Es geht nicht um Eskalation, sondern um Haltung auf Augenhöhe. Und: Du musst das nicht allein klären. Es ist kein Zeichen von Schwäche, sich Unterstützung zu holen – im Gegenteil: Holt euch Unterstützung – intern wie extern. Isolation ist der Nährboden für Übergriffigkeit.

 

Für welche Vision treten Sie in ihrer Position und mit diesem Buch ein? 

Herken/Sontheim/Weiguny: Wir wünschen uns eine Arbeitswelt, in der Macht nicht trennt, sondern verbindet. In der Vielfalt nicht »mitgedacht« wird, sondern mitgestalten kann. In der nicht immer der Lauteste gewinnt, sondern wo Zuhören zählt. Wo nicht eine Frau sich allein unter Männern durchkämpfen muss, sondern diverse Teams entscheiden. Wo alle ihren Beitrag einbringen können, ohne die längst überholten, aber gesellschaftlich verankerten Vorurteile und Rollenzuweisungen. Machtgebiete zeigt, wo heute noch Grenzen verlaufen – zwischen Teilhabe und Ausschluss, zwischen gehört werden und übergangen werden. Und es zeigt Wege, wie wir in unserem jeweiligen Wirkungsbereich diese Grenzen verschieben können.
 

Wir schreiben dieses Buch auch für die nächste Generation: Damit unsere Töchter nicht mehr um Sichtbarkeit und Gehör kämpfen müssen, sondern sich frei in Machtgebieten bewegen, in denen Respekt vorausgesetzt ist – und Frauen an der Spitze selbstverständlich sind.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Anna Sophie Herken, Ex-Allianz-Managerin, Multi-Aufsichtsrätin, ist seit Sommer 2023 Vorständin bei der GIZ.

Christina Sontheim-Leven, Ex-SDAX-Vorständin, ist Aufsichtsrätin und anerkannte Multiplikatorin für Female Empowerment.

Bettina Weiguny, freie Wirtschaftsjournalistin, Publizistin und F.A.S.-Kolumnistin, hat zuletzt ein Buch über junge Rebellinnen aus aller Welt veröffentlicht.

 

15.10.2025
kartoniert
22,00 € inkl. Mwst.