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Wirtschaft und Gesellschaft

»Das Kartellamt ist eine inquisitorische Behörde«

campus.de sprach mit dem Wirtschaftspublizisten Detlef Brendel sowie dem Wirtschaftsjuristen und „Kartellrebellen“ Florian Hoffmann über ihr neues Buch »Wirtschaft im Würgegriff. Wie das Kartellamt Unternehmen blockiert.«

Bundeskartellamt (Pressebild)

Detlef Brendel

Florian Hoffmann

 

Kartellbehörden decken Preisabsprachen zwischen Unternehmen auf und verhängen dafür hohe Geldstrafen. Sie sind die »Good Cops« – soweit die landläufige Meinung. Sie halten mit Ihrem Buch dagegen, warum?

Brendel: Das Bundeskartellamt hat sich zu einer inquisitorischen Behörde entwickelt, die massiv in funktionierende Wirtschaftsabläufe eingreift, die bewährte Geschäftsmodelle vernichtet und Arbeitsplätze gefährdet. Anlass für die fragwürdigen Verfahren müssen keineswegs die immer wieder behaupteten Preisabsprachen sein. Ein entscheidender Grund ist: Der Behörde fehlt es an einem tieferen Verständnis des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs. Bürokratische Vorstellungen haben leider oft wenig mit der Realität der Wirtschaft zu tun.

Hoffmann: Das gilt auch für das Gesetz, denn Preisabsprachen sind zu Unrecht geächtet. Hinter der Ablehnung steckt die landläufige Vorstellung, der Verbraucher müsse alles möglichst billig bekommen. Das ist vielleicht gut gemeint, aber es ist Sozialpolitik zulasten der Wirtschaft. Und das Dumme daran ist: Die Wirtschaft ist für die Einkommen der Verbraucher verantwortlich. Wenn der Verbraucher als Arbeitnehmer in der Wirtschaft immer weniger verdient, nützen ihm auch niedrige Preise nichts. Er verarmt. Das ist die bekannte Spirale nach unten, in der wir uns gerade befinden. Das ist die falsche Sozialpolitik.

 

Wie wirkt sich die Praxis des Kartellamts auf die betroffenen Unternehmen aus – besonders auf die mittelständischen?

Brendel: Die Folgen gefährden die Existenz der Unternehmen. Als Ordnungswidrigkeiten getarnt, wie bei einem Knöllchen für Falschparken, werden ohne Gerichtsurteile Millionenstrafen verhängt, die Investitionskraft und Arbeitsplätze der Unternehmen gefährden. Zudem gibt man Konkurrenten die Möglichkeit, unliebsame Wettberber durch Anzeigen zu denunzieren, sie damit zu schwächen, dabei selbst straffrei zu bleiben und dadurch den Wettbewerb zu verzerren. Hier wird mit Praktiken gearbeitet, die dringend juristisch untersucht werden müssen.

Hoffmann: Die Praxis des Kartellamts trifft vor allem die arbeitenden Menschen in voller Härte. Es sind in großem Umfang die Arbeitnehmer, die zum Spielball einer staatlichen Behörde werden. Nehmen sie beispielsweise die 600 Mitarbeiter der Schienenproduktion von ThyssenKrupp. Die Firma besteht seit mehr als 180 Jahren und wird jetzt aufgelöst. Sie ist unverkäuflich, das Firmen-Know-how wird auf den Müll geworfen. Und mit ihm die Arbeitsplätze von Menschen, die sich bei ThyssenKrupp ihr Leben lang aufgehoben gefühlt haben – einer Firma, die für ihr soziales Engagement bekannt ist. Ich kann Ihnen versichern: Geweint haben nicht nur die Mitarbeiter, die Tränen kamen auch von der Firmenleitung. Wer in diesem Zusammenhang Parolen wie »Wir müssen den Wettbewerb schützen« von sich gibt, hat aus meiner Sicht überhaupt nichts verstanden.

Was den Mittelstand angeht, kann ich nur sagen: Unternehmer sind auch Menschen. Die tragen die Verantwortung für fünfzig, hundert oder tausend Mitarbeiter, denen sie täglich – wortwörtlich – gegenüberstehen. Wenn die dann von ihren eigenen Mitarbeitern oder von den Nachbarn und Freunden plötzlich als Kriminelle angesehen werden, dann haben wir es mit einer Kartellamtspraxis zu tun, die Menschen verachtet und geradezu unmenschlich ist.

Und das Ganze hat schließlich auch noch eine geschäftliche Seite. Die soziale Marktwirtschaft ist eine konsensorientierte Marktwirtschaft. Das bedeutet: Man ist dem Wettbewerber nicht spinnefeind und will ihn rauskicken, sondern man behauptet sich fair und gemeinsam auf dem Markt. Das hatte in der Vergangenheit zur Folge, dass aus den geschäftlichen Freundschaften, sprich den Kartellen und Verbänden, gerade hier in Deutschland eine sogenannte Branchenintelligenz entstanden ist: eine der wichtigsten Komponenten für den Erfolg unserer Wirtschaft. Das wird jetzt von den Kartellbehörden systematisch zerschlagen, zum Schaden der Unternehmen, aber auch der Gesellschaft. Hier ist schon jetzt ein Verlust in Höhe von vielen Milliarden entstanden, der ein Vielfaches der Bußgeldeinnahmen beträgt, mit denen sich die Kartellbehörde brüstet.

 

Wie kommt es, dass sich das Kartellamt solche fragwürdigen Praktiken überhaupt leisten kann?

Brendel: Bisher hat das Kartellamt die in der Öffentlichkeit eingeräumten Freiräume als angeblicher »Good Cop« genutzt. Widerspruch wurde selten gewagt. Was wir aber brauchen in der Wirtschaft und in der Politik, ist eine intensive Diskussion der aktuellen Kartellinquisition. Es darf nicht sein, dass eine eigentlich für die Wahrung des Wettbewerbs zuständige Behörde durch ihre inkompetente Arbeit Wettbewerb und Wirtschaftskraft vernichtet.

Hoffmann: Ich habe mich schon oft gefragt: Wie kann es sein, dass ein Land, das in der Vergangenheit und Gegenwart bereits viele Erfahrungen mit Denunziation gemacht hat wie unseres, ohne mit der Wimper zu zucken auf das aalglatte Wort eines »Whistleblowers« hereinfällt und dazu noch klatscht?

Ich glaube, um das zu verstehen, müssen wir einen Schritt zurücktreten, weil es um eine grundsätzliche Frage der Rechtsstaatlichkeit geht. Für mich ist der Rechtsstaat seit den Zeiten meines juristischen Studiums ein hohes Gut. Als ich im Jahr 2003 das erste Mal praktisch mit dem Kartellrecht konfrontiert war, traf mich dessen rechtsstaatliche Fragwürdigkeit zutiefst – und das war dann für mich auch der Anlass, das Thema weiterzuverfolgen. Heute weiß ich: An dieser Stelle haben wir ein Stück angloamerikanischen Rechtssystems importiert, das mit Rechtsstaatlichkeit in unserem Sinn wenig zu tun hat. Nehmen Sie allein mal die irrwitzigen Höhen der Bußen, aber eben auch das unerträgliche behördliche und gerichtliche Eindringen in die Privatsphäre. Wir verstoßen hier gegen die Prinzipien des Rechtsstaats und lassen inquisitorische Bußgeldverfahren zu, deren Verfassungswidrigkeit geradezu zum Himmel schreit. Und niemand tut etwas dagegen, vor allem nicht die Anwaltskollegen, die im Gegenteil glänzend damit leben. Wenn ich das richtig sehe, entwickelt sich da gerade ein neuer Mittelstand. Auch das ist ein Charakteristikum des amerikanischen Wirtschaftssystems: wahnwitzige Honorare für Anwälte, die mit der Peitsche durch die Lande ziehen. Für mich ist das ein Verhalten, das unserer Wirtschaft, aber auch den Beschäftigten und Verbrauchern in einem hohen Grad schadet.

 

 

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23.06.2014

Wirtschaft & Gesellschaft

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