Die USA werden in deutschen Medien heftig kritisiert - dabei kommen oft antiamerikanische Ressentiments zum Vorschein
Dicke Luft zwischen Deutschland und den USA, mit jeder weiteren NSA-Enthüllung wächst das Misstrauen. Die große Obama-Euphorie - sie ist endgültig passé. "Deutschland trifft den SuperStar", hatte der Spiegel noch zu Obamas Berlin-Besuch 2008 getitelt. Heute belegen Umfragen, dass die USA so unbeliebt wie zu Bush-Zeiten sind. Wie konnte das nur geschehen? Kritiker nennen neben der NSA-Überwachung den Drohnenkrieg der USA sowie Obamas enttäuschende Politik auf allen Ebenen. Das ist nicht falsch - und doch nur die halbe Wahrheit. Denn hinter der Kritik verbirgt sich oft ein tiefsitzender Antiamerikanismus. Dieser war lange kaum sichtbar, aber nie ganz verschwunden. Dank NSA & Co. wird er heute so unverblümt wie lange nicht mehr geäußert.
Beispiel gefällig? Da schreibt Jakob Augstein auf Spiegel Online, dass Europa gestärkt werden müsse. Dies könne aber nur funktionieren, wenn das Europäische Parlament mehr Macht erhalte. Recht so! Doch dann kommt's. Augstein entwirft sein Wunschbild von Europa nämlich vor der Negativfolie der USA. Dort sei "längst entschieden", wer die Macht habe: "Die wichtigen Weichen werden zwischen Big Money, Big Data und den Big Guns gestellt. Und der Wert eines Rechts entspricht den technologischen Kosten, es zu brechen. Europa hat noch die Wahl, einen anderen Weg zu gehen."
Projektionen und Stereotype
Das ist Antiamerikanismus pur. Denn die Kritik verkehrt sich hier in ein stereotypes Welterklärungsmuster, in dem alles Negative - ob Kapitalmacht, Waffengewalt, Überwachungsstaat oder Rechtsdefizite - auf die USA projiziert wird. Und das nur, um sich eine europäische Identität herbeizufantasieren, die dazu im Gegensatz steht: moralisch höherwertig, gut. Dies ist heuchlerisch. Denn Augstein gesteht ja selbst ein, dass es mit der Demokratie in Europa nicht zum Besten steht. Zur NSA-Affäre schreibt Augstein, Europa müsse "eigene Netzsysteme aufbauen, die sich der amerikanischen Überwachung entziehen." Die Verantwortung der Europäer für die kritisierten Missstände wird hier einfach ausgeblendet.
Dass auch europäische Geheimdienste bei der Massenüberwachung fleißig mitmischen und vom Datenaustausch profitieren, bis hin zum deutschen BND, dass Schwarz-Rot nach EU-Vorgabe die Vorratsdatenspeicherung einführen will, die europäische Datenschutzreform dagegen bis heute hinausgezögert wird - all dies spräche dafür, erst einmal vor der eigenen Haustür zu kehren. Aber wie bequem ist doch das Täter-Opfer-Schema: Das gesetzlose Amerika zerstört unser feines rechtsstaatliches Europa.
Der ewige Minderwertigkeitskomplex
Und wie war das noch gleich mit Edward Snowden, unserem amerikanischen Kronzeugen gegen die Verfehlungen der USA? Der sitzt immer noch in Russland fest, statt Asyl in Europa zu erhalten oder wenigstens im Parlament gehört zu werden. Die Motive seiner Unterstützer erscheinen sowieso oft zweifelhaft. Der Schriftsteller Thomas Brussig begründete seine Forderung nach Asyl für Snowden etwa folgendermaßen: "Die ganze Sache ist eine Ohrfeige für die USA. Snowden hat Deutschland eine wichtige Debatte verschafft. Er verkörpert den Geist von Freiheit und Aufklärung und würde sich bei uns sehr gut machen." Und der Regisseur Leander Haußmann: "Strafe muss sein, liebe Amis!" Snowden soll "uns" hier offensichtlich nur als moralisches Feigenblatt dienen. Er wird instrumentalisiert, um es den "Amis" mal richtig heimzuzahlen.
Ein willkommener Nebeneffekt dabei: Der in den Weltkriegsniederlagen und der Besatzungszeit wurzelnde Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem "großen Bruder" kann endlich abgeschüttelt werden. Denn dass es die Amerikaner waren, die den Deutschen die Demokratie beibrachten, haben ihnen viele nie verziehen. Der Unternehmensberater Klaus Kocks, ein Dauergast in deutschen Talkshows, brachte das kürzlich auf den Punkt: Das demokratische Europa sei ein "zivilisatorisches Wunderwerk" - Amerika hingegen zum "Albtraum" verkommen. Kocks: "Wir werden den europäischen Geist gegen den amerikanischen Ungeist stellen müssen."
Dieser Antiamerikanismus ist brandgefährlich
Es sind muffigste Ressentiments, die da zum Vorschein kommen. Das alte dualistische Bild: Ein degeneriertes, gefährliches Amerika auf der einen Seite - und das kulturvolle, zivilisierte Europa auf der anderen. Die moralische Supermacht Europa erhebt sich gegen den Koloss USA: Dieser Antiamerikanismus ist brandgefährlich, weil er vordergründig zwar ein gutes Gefühl verschaffen mag, die eigenen Verfehlungen jedoch verdeckt und faktisch alles beim Alten lässt - ob Datenschnüffelei oder Demokratiedefizite. Eine solche Haltung ist alles andere als kritisch, nämlich konformistisch und reaktionär.
Eine längere Fassung dieses Beitrags ist am 24.2.2014 auf ZEIT ONLINE erschienen.http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-02/antiamerikanismus-deutsche-medien/komplettansicht
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In seinem Buch "Hass, Neid, Wahn" untersucht Tobias Jaecker den Antiamerikanismus in den deutschen Medien - von 9/11 über Obama bis zur Finanzkrise. Er benennt Kriterien, wie sich Antiamerikanismus von Kritik unterscheiden lässt und erörtert die ideologische Funktion, die der Antiamerikanismus in der Gesellschaft erfüllt. Ein aufschlussreiches und spannendes Buch.