*** Bitte geben Sie Ihre Weihnachtsbestellung bis 15. Dezember auf. *** Mehr Infos
Wirtschaft und Gesellschaft

TTIP - eine weitere Machtverlagerung

Die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) ist für die Europäische Kommission, für die Bundesregierung und für Wirtschaftsverbände ein großes Versprechen. Allerdings werden in der Debatte die Chancen von TTIP unreflektiert überbewertet, die Risiken hingegen heruntergespielt. Das gilt insbesondere für die Gefahr, dass die Macht weiter in Richtung großer Konzerne verschoben wird.

Die globale Machtwirtschaft und TTIP

Die Konzentration wirtschaftlicher Macht schreitet weltweit voran. Marktmacht ist zu einem zentralen Werkzeug zur Gewinnmaximierung geworden. Konzerne nutzen ihre Größe und ihre Macht, um Staaten gegeneinander auszuspielen, um freien Wettbewerb zu unterdrücken und durch Lobbying Gesetzgebung in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Eine umfassende Analyse der globalen Machtkonzentrationen hat 2011 eine Forschergruppe der ETH Zürich vorgelegt. Sie hat das Netzwerk global agierender Konzerne untersucht und dabei festgestellt, dass weltweit eine Gruppe von nur 147 Unternehmen durch Anteilsverflechtungen die Kontrolle über knapp 40% der Unternehmenswerte aller transnationalen Konzerne ausüben. 0,3% kontrollieren 40% - eine unglaubliche Macht!

Die ordnungspolitische Vorstellung, wonach Märkte so zu organisieren sind, dass sie dem Kundeninteresse am besten dienen, ist hier nicht mehr gegeben. Auch ist der Staat an vielen Stellen gar nicht mehr in der Lage - oder nicht willens - freien Zugang zu Märkten sicherzustellen und die Regeln gegenüber großen Unternehmen effektiv durchzusetzen. Das ist nicht nur für die Märkte selbst, sondern auch für die freiheitliche Gesellschaft eine Gefahr.

Wie hängt diese Analyse mit TTIP zusammen? Das transnationale Freihandelsabkommen droht die Macht globaler Konzerne weiter zu verstärken. Die beiden Hauptinstrumente dazu sind der in dem Abkommen vorgesehene Investitionsschutz und der gezielte Einfluss, den Konzerne ganz unmittelbar auf die Gesetzgebung erreichen wollen - durch den „Rat zur regulatorischen Kooperation“.

Investitionsschutz fördert die Macht großer Konzerne

Die ursprüngliche Idee von Investitionsschutz ist, dass in Staaten mit schlecht entwickeltem Rechtssystem und ohne unabhängige Justiz ausländische Investoren zusätzliche Sicherheit bekommen sollten. Mittlerweile werden Investitionsschutzverträge und Schiedsgerichtsverfahren aber zunehmend als Instrument eingesetzt, um staatliche Regelungen zum Umwelt- und Verbraucherschutz offensiv anzugreifen oder Schadensersatzforderungen zu stellen. Dabei machen die Konzerne bei solchen Investor-Staat-Schiedsverfahren oft einen guten Schnitt: Der Ölkonzern Occidental beispielsweise verklagte Ecuador auf 1,77 Mrd. Euro wegen der Beendigung eines Vertrages zur Erdölförderung und gewann. Diese Verfahren nahmen in den vergangen Jahren stetig zu.

Ein weiteres Problem sind undefinierte Rechtsbegriffe. Wenn Verfahren wegen (vorgeschobener) Verstöße gegen "indirekte Enteignung" oder "Nicht-Diskriminierung" eröffnet werden können, ohne dass diese Begriffe klar definiert sind, macht dies die Tür weit auf für Interpretationen. Indirekte Enteignung kann bereits eine Gewinnschmälerung aufgrund stärkerer Abwasserrichtlinien sein. Dadurch geraten Regierungen und Parlamente selbst im Kernbereich hoheitlichen Handelns unter Druck. Oft reicht sogar die Androhung einer Klage aus, um Staaten davon abzuhalten überhaupt bestimmte Gesetze zu erlassen (sog. "Chilling Effect").

Vor allem angesichts der Tatsache, dass sowohl Europa als auch die USA gut etablierte Rechtssysteme haben, kann die Antwort nur heißen: Ein zusätzlicher Investorenschutz über den normalen Rechtsweg hinaus ist unnötig.

Regulatorische Kooperation

Auch durch „Rat zur regulatorischen Kooperation“ soll großen Konzernen zusätzlicher Einfluss verschafft werden. Dort sollen EU- und US-Behörden mit Lobbyisten zusammenarbeiten, um bestehende Regulierungen im Dialog zu harmonisieren und um neue zu entwerfen. Ziel wäre, dass rechtliche Regelungen künftig noch vor der Verabschiedung zwischen den Lobbygruppen aus den USA und aus Europa abgestimmt sind. Hier wird der Einfluss von Interessengruppen auf die Regelsetzung zum Prinzip erhoben und damit die ordnungspolitische Vorstellung vom Staat als Regelsetzer gegenüber den wirtschaftlichen Akteuren im Markt auf den Kopf gestellt.

Stoppt TTIP

Die Verhandlungen zu TTIP gehen in eine falsche Richtung und müssen deshalb gestoppt werden, um den Weg freizumachen für ein neues Verhandlungsmandat. Zentral müssen dabei aber nicht der Investorenschutz und ein institutionalisierter Lobbyeinfluss, sondern neben dem Abbau technischer Handelshemmnisse auch die Entwicklung eines starken internationalen Rechtsrahmens sein, der den Wettbewerb auch in den Branchen schützt, in denen schon heute die Machtkonzentration viel zu groß ist.

Dass dies eine explizit wirtschaftsfreundliche Position ist, wird auch unter dem Gesichtspunkt deutlich, dass gerade Mittelständler keine großen Hoffnungen in TTIP setzen. In einer Befragung unter 4025 Unternehmen mit jeweils mindestens 2,5 Mio. Euro Jahresumsatz ging nicht einmal jeder sechste Mittelständler davon aus, dass TTIP seiner Firma nützen würde. Das aber sind die Unternehmer, die den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands und Europas sichern und auf die wir setzen sollten. Nicht auf die Interessen weniger, globaler Unternehmen.

 

Der Autor:

Gerhard Schick, Jahrgang 1972, grüner Politiker, gilt als einer der versiertesten Ökonomen im Bundestag. Der promovierte Volkswirt genießt nicht nur in den eigenen Reihen einen Ruf als Experte. Als Parlamentarier kämpft er leidenschaftlich auf der Seite des Bürgers. Schick ist der Grüne der Zukunft.

 

07.07.2015