Big Data ist keine Zukunftsvision, sondern schon da, schreiben Sie in Ihrem Buch. Haben das hierzulande noch zu wenige mitbekommen?
Michael Steinbrecher: Big Data ist einigen Menschen in Deutschland durchaus schon ein Begriff – aber ein sehr diffuser. Die Diskussion dreht sich vor allem um Datensicherheit und Datenschutz hierzulande. Eine logische und – wie ich finde – richtige und wichtige Konsequenz der Snowden-Enthüllungen. Und Big Data ist natürlich auch für Unternehmen ein großes Thema – Stichwort Industrie 4.0. Aber das war es dann auch. Dabei spielt Big Data nicht nur in diesen, sondern in fast allen Bereichen unseres Lebens eine Rolle und verändert es schon heute. Es findet gerade eine leise Revolution statt, von der kaum jemand Notiz nimmt. Und »die möglichen Konsequenzen dieser leisen Revolution« für unser ganzes Leben – gute wie schlechte – die kennen definitiv noch zu wenige.
Unsere Gesellschaft scheint zweigeteilt: In die »digital natives« und die, für die Big Data ein Fremdwort ist. Ist das für die Unwissenden schon ein konkreter Nachteil?
Michael Steinbrecher: Ganz klar: Ja! Daten spielen ja bereits heute eine große Rolle in unserer Gesellschaft. Viele Entscheidungen werden auf der Grundlage von ihnen getroffen und das wird noch deutlich zunehmen. Letztlich liegt es an uns, mitzubestimmen, wie weit diese »Verdatung« gehen soll, wie viel wir noch dem Zufall und nicht irgendwelchen Wahrscheinlichkeitsberechnungen überlassen wollen. Gut möglich, dass beispielsweise bereits in ein paar Jahren nicht wir, sondern die Datenspuren, die wir in unserer Jugend hinterlassen haben, bestimmen, welchen Beruf wir ergreifen dürfen. Wenn ich nicht will, dass es zu so einer Entwicklung kommt, muss ich eine klare Position beziehen. Eine Position kann aber nur beziehen, wer informiert ist. Ansonsten besteht die Gefahr, dass ich bevormundet werde und meine eigene Entscheidungsfreiheit de facto aufgebe – weil ich mich einfach nicht rechtzeitig informiert habe.
Sie schreiben: »Big Data ist das, was wir daraus machen«. Aber wie viel Gestaltungsmacht hat man als Bürger konkret, bei solch einem unternehmensgetriebenen Thema?
Michael Steinbrecher: Natürlich sind schon viele Fakten geschaffen worden. Es ist kaum möglich keine Datenspuren im Alltag zu hinterlassen. Und wer das tut – beispielsweise komplett auf das Internet verzichtet – der endet ja fast schon zwangsläufig in der sozialen Isolation. Aber wir haben durchaus noch Gestaltungsräume. Ich halte es da wie mein Kollege Viktor Mayer-Schönberger, der im Interview für dieses Buch gesagt hat, dass Big Data nur genutzt werden kann, wenn Menschen auch bereit sind, ihre Daten zur Verfügung zu stellen. Und wir sehen ja schon jetzt: Unternehmen, die die Daten ihrer Kunden nicht schützen, werden öffentlich massiv kritisiert und verlieren ihre Kunden. Ohne dass Menschen in Big Data vertrauen, funktioniert es nicht.
Big Data ist Teil eines großen Plans von Google, Cisco, Telekom und Co, aber auch die deutsche Regierung stimmt mit ihrer digitalen Agenda ein. Wo soll uns der Plan eigentlich hinführen?
Michael Steinbrecher: Ob es da wirklich einen großen Plan gibt, weiß ich nicht. Im Grunde stehen sich zwei mögliche Szenarien gegenüber. Das Positivszenario ist eine Welt, in der wir sicherer und länger leben, mit unseren Ressourcen effektiver umgehen und mehr Zeit für die Dinge haben, die uns Spaß machen, weil Maschinen uns die mühsamen Dinge des Lebens abnehmen. Wir können bessere Entscheidungen treffen, weil wir eine bessere faktische Grundlage haben. Das ist die positive Idee von Big Data. Das Negativszenario ist eine Welt der totalen Kontrolle und Manipulation. In dieser Welt gibt es keine Privatsphäre. Kontrolle statt Freiheit ist das Motto. Unsere Wünsche und Träume spielen keine Rolle mehr, weil die Daten unser Leben vorherbestimmen. Und das Schlimmste ist: Wir werden es nicht einmal merken und hängen – wie Elmar Theveßen es im Buch formuliert – wie Marionetten an Strippen. Ich glaube, keine dieser beiden Szenarien wird so Eins-zu-Eins eintreten. Aber ob unsere Zukunft ein bisschen dunkler oder heller wird, das können und sollten wir mitbestimmen.
Sie sprechen in ihrem Buch darüber, dass Big Data auch unser Denken verändert. Denkende Heizungen, smarte iPhones, intelligente Mülltonnen, Entscheidungen treffende Autos – müssen wir am Ende aufpassen, dass wir durch Big Data nicht das Ruder aus der Hand geben und aufhören, selbst zu denken?
Michael Steinbrecher: Manchmal ist es ja auch ganz bequem, das Ruder aus der Hand zu geben. Gegen einen Roboter, der den Müll rausbringt, ist ja auch erst einmal nichts einzuwenden. Das Problem ist nur, wenn wir Maschinen Entscheidungen überlassen, die eigentlich nur wir treffen können. Wie soll sich zum Beispiel ein selbstfahrendes Auto verhalten, wenn es zu einem moralischen Dilemma kommt. Also beispielsweise der Frage: Soll ich dem Fußgänger ausweichen und das Leben des Insassen gefährden oder andersherum? Solche vor allem moralische Fragen dürfen wir nicht outsourcen oder automatisieren. Aber die Gefahr besteht natürlich auch bei solchen Fragen, die Verantwortung abzugeben, weil es einfach bequem ist.
Was ist Ihr Tipp für das Leben im Big Data Dschungel?
Michael Steinbrecher: In erster Linie sollte man sich informieren, um überhaupt eine Position beziehen zu können. Denn jeder Einzelne braucht zu diesem Thema eine Meinung. Spätestens, wenn bei der nächsten Bundestagswahl auch Themen wie Datenschutz zur Debatte stehen werden. Ganz konkret im Alltag sollte man sich immer fragen: Wie viel Freiheit und Selbstbestimmung bin ich – vielleicht aus Bequemlichkeit – bereit abzugeben und welche Bereiche meines Lebens will ich nicht berechnen lassen und für mich behalten?
Prof. Dr. Michael Steinbrecher ist ein vielfach ausgezeichneter Fernsehjournalist (u. a. Grimme-Preis). Seit 2009 arbeitet er als Professor für Fernseh- und crossmedialen Journalismus am Institut für Journalistik der TU Dortmund. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört "Big Data".
Rolf Schumann Rolf Schumann verkörpert Technologie mit Entrepreneurship und gilt als
renommierter Experte für Innovationsthemen. Er baute das Cleantech Startup »Better Place« mit auf und verantwortet nun
bei dem Softwarehersteller SAP den Bereich ³Office of the CTO² als ³Chief Technology Officer (CTO) and Head of
Innovation² für EMEA, Zentral- und Osteuropa.