Wirtschaft und Gesellschaft

»Das Wichtigste ist: An Deutschlands Stärken glauben!«

Hat unsere Wirtschaft eine Antwort auf das Silicon Valley? Das haben sich Marc Beise und Ulrich Schäfer gefragt. Spannende Antworten geben Sie in ihrem Buch »Deutschland digital«. Ein Interview.

Marc Beise. Foto: SZ

Ulrich Schäfer. Foto: SZ

Das Silicon Valley erhebt den Anspruch auf die Weltregierung. Und wir haben die digitale Revolution verschlafen?

Beise/Schäfer: Nein, wir haben nur die erste Runde verschlafen, aber in der zweiten Runde haben wir die einmalige Chance, weit vorne mit dabei zu sein – vielleicht sogar ganz vorne. Denn nach dem privaten Internet, beherrscht von Google, Facebook, Apple und Co., entsteht nun das industrielle Internet. Manche sprechen auch vom Internet der Dinge, viele Hundert Milliarden Geräte werden in den nächsten Jahren miteinander vernetzt: Autos, medizinische Geräte, Maschinen, Roboter, ganze Fabriken. Wir in Deutschland mögen nicht vielleicht so viel vom Internet verstehen wie die Konzerne aus dem Silicon Valley, aber unsere Unternehmen wissen sehr viel besser, wie man Dinge produziert. Im Silicon Valley lautet zum Beispiel die Losung: Tempo ist alles! Wir dagegen glauben, dass dies kein Wert an sich ist. Viel wichtiger sind Präzision und Perfektion, Verlässlichkeit und Zuverlässigkeit, Ingenieurskunst und Industriewissen.

Traditionelle deutsche Erfolgsbranchen wie die Autoindustrie oder die Versicherungsbranche müssen grundsätzlich umdenken. Was ist jetzt entscheidend?

Beise/Schäfer: In Deutschland war es bisher üblich, Unternehmen hierarchisch zu organisieren, nach klaren Regeln: Oben wird entschieden, unten gemacht. Die Chefs geben die Richtung vor – und alle anderen haben zu folgen. Das funktioniert in einer Welt, in der Geschäftsmodelle durch neue, agile Angreifer »disrupted« werden, nicht mehr. Wenn die etablierten Unternehmen gegen die neuen Wettbewerber bestehen wollen, müssen sie schneller und flexibler werden und sich künftig anders organisieren, räumlich wie organisatorisch. Die Chefs müssen  raus aus ihren Eckbüros kommen und Teil des Teams sein, sie müssen Verantwortung nach unten delegieren und den Mitarbeitern ermöglichen, selber wie Unternehmer zu agieren. Die Unternehmen müssen dazu nicht, wie manche Apologeten der digitalen Revolution, uns weismachen wollen, alles ändern – aber sie müssen alles in Frage stellen. Am Ende entscheidet die richtige Mischung aus Tradition und Innovation, aus Erfahrung und Veränderungswillen.


Für Ihr Buch »Deutschland digital« sind Sie sowohl ins Silicon Valley als auch in die deutschen Innovationszentren gereist. Was hat Sie überrascht?


Beise/Schäfer: Auch wir waren anfangs fasziniert vom Silicon Valley, von diesem vibrierenden Tal und dessen ungeheuren Tempo. Und wir waren zugleich geprägt von der fatalistischen Grundhaltung in Deutschland in Sachen Digitalisierung, dieser übergroßen Angst vor Google und Co. Auch wir dachten: Deutschland hat haushoch verloren. Aber dann haben wir genauer hingeschaut und mit sehr vielen Menschen diesseits und jenseits des Atlantiks geredet: mit Unternehmern und Gründern, mit Wissenschaftlern und Finanziers, mit Beratern und Experten. Nach und nach formte sich daraus ein sehr viel differenzierteres, optimistischeres Bild. Denn so innovativ das Silicon Valley auch sein mag – es ist auch einzigartig in seinem Hang, sich selbst als Mittelpunkt der Welt zu sehen und den Rest des Planeten zu vergessen. Wir haben das erlebt bei unseren Reisen ins Valley: Man kann, wenn man die digitale Welt allein von dort aus betrachtet, rasch die Maßstäbe verlieren. Man gewinnt im Valley schnell den Eindruck, als gebe es nur einen einzigen, wirklich innovativen Ort auf der Welt – doch das ist grundfalsch. Ein schönes Beispiel für die Abgehobenheit des Silicon Valley ist Tesla: Für viele ist dies ja die Automarke schlechthin. In der Tesla-Fabrik in Kalifornien sahen wir dann überall Roboter von Kuka aus Augsburg und Blechpressen von Schuler, dem Weltmarktführer für Umformtechnik aus Esslingen am Neckar. Die Autos von Tesla sind mithin zwar nicht »Made in Germany« sind, aber »Made by Germany«.

 
Worin besteht ein klarer Vorteil der deutschen digitalen Industrie?

Beise/Schäfer: Unsere Industrieunternehmen haben in 150 Jahren eine Routine im Erfinden, Verändern und Verkaufen von Produkten entwickelt, die nicht mal eben kopiert werden kann – schon gar nicht von reinen Internetkonzernen wie Google oder Apple, die zwar schnell wachsen, aber eben keine jahrzehntelange industrielle Expertise besitzen. Und diese industrielle Expertise kann man auch nicht einfach so zukaufen kann. Umgekehrt ist es sehr viel einfacher, sich als Industrieunternehmen das notwendige Know-how aus der digitalen Welt anzueignen. Es ist ganz ähnlich wie einst bei der Einführung des Fließbands in der Autoproduktion: Henry Ford machte damals den Anfang, die deutschen Hersteller zögerten teils zwanzig, dreißig Jahre damit, die neue Technologie einzuführen – aber heute bauen sie die besten Autos der Welt. Heute, hundert Jahre später, geht es darum, das einzuführen, was wir das »digitale Fließband« nennen: all die digitalen Basistechnologien und Software, die unsere Unternehmen effizienter macht. Wir sind davon überzeugt: Deutschland mit seiner hochentwickelten Wirtschaft hat alle Chancen, dies besser hinzubekommen als die meisten anderen.


Sie erzählen von Innovationen aus Deutschland, die selbst das Valley in Staunen versetzen. Welche sind das?

Beise/Schäfer: Ein Beispiel ist ein Radar-Chip, den Infineon für Google entwickelt hat und der nun im fränkischen Regensburg produziert. Dieser schlaue Chip kann selbst kleinste Fingerbewegungen aus einer Entfernung von bis zu 15 Metern erkennen. So lassen sich elektronische Geräte künftig wie von Geisterhand steuern. Ein anderes Beispiel ist ein superintelligenter In-Ear-Kopfhörer namens »The Dash«, den das Start-up Bragi aus München entwickelt hat. Das Gerät ist ausgestattet mit 27 Sensoren und könnte vielleicht irgendwann das Smartphone ersetzen: Man telefoniert nur mit dem Knopf im Ohr und steuert mit seiner Stimme auch sämtliche Apps. Eindrucksvoll ist auch eine Art Navi für Innenräume, entwickelt von NavVis, einem anderen Start-up aus München. Oder die Geräte von EOS, einem Mittelständler aus Krailling bei München. Das Unternehmen ist weltweit führend bei industriellen 3D-Druckern und arbeitet mit Flugzeugherstellern und Autokonzernen zusammen. Übrigens auch mit Tesla.


Sie haben einen 12-Punkte Plan für deutsche Unternehmer entworfen. Was ist Ihr wichtigster Rat?

Beise/Schäfer: Das Wichtigste ist: Positiv denken! An Deutschlands Stärken glauben! Denn schon Ludwig Erhard hat gesagt: 50 Prozent der Wirtschaft ist Psychologie. Das gilt gerade jetzt, im digitalen Zeitalter, in dem die deutsche Industrie auf neue Wettbewerber trifft, die vor aufgesetztem Optimismus und übertriebenem Selbstbewusstsein nur so strotzen. Nimmt man Erhards Losung als Maßstab, verwundert es wenig, dass wir die erste Runde der Digitalisierung verloren haben. Denn wir gefallen uns in Deutschland seit Jahren darin, vor allem die negativen Dinge zu betonen, all das, was bei der Digitalisierung noch nicht klappt. Nur: Wer zu viel jammert, verpasst am Ende die digitale Zukunft.

 

Marc Beise leitet zusammen mit Ulrich Schäfer die Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung in München. Er ist erfolgreicher Buchautor und beschäftigt sich seit Jahren mit der Digitalisierung.

Ulrich Schäferleitet zusammen mit Marc Beise die Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung in München. Beide sind erfolgreiche Buchautoren und beschäftigen sich seit Jahren mit der Digitalisierung.

 

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22.08.2016