Vor 50 Jahren trat das Deutsche Aktiengesetz in Kraft. Was war der Hintergrund für dieses neue Gesetz?
Willi Schoppen: Die Motive, das Aktiengesetz gründlich zu überarbeiten, waren sehr vielfältig. Es ging auch, aber nicht nur darum, nationalsozialistisches Gedankengut aus dem Aktienrecht zu entfernen. Prof. Bruno Kropff, einer der Väter des Aktiengesetztes, den ich für mein Buch interviewen durfte, betonte, dass vor allem die Aktie attraktiver werden sollte. In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts lag der Kapitalmarkt völlig danieder. Den galt es wiederzubeleben, unter anderem, indem die Gewinnberechtigung der Aktionäre gestärkt werden sollte. Seit Inkrafttreten des Aktiengesetztes 1966 darf die Hauptversammlung über mindestens die Hälfte des Gewinns entscheiden. Bis dahin hatte der Vorstand das Alleinentscheidungsrecht. Außerdem wurden die Rechnungslegungsvorschriften und die Publizitätspflichten verschärft. Schon damals ging es um mehr Transparenz für Aktionäre. Außerdem sollten die Rechte von Minderheiten besser geschützt und das Konzernrecht klar geregelt werden.
Was früher gute Unternehmensführung hieß, wird heute Corporate Governance genannt. Geht es im Kern noch um das Gleiche?
Willi Schoppen: Lassen Sie mich zunächst auf den Begriff der Corporate Governance eingehen, der im deutschen Sprachgebiet noch nicht so lange gebräuchlich ist. Im weitesten Sinne versteht man darunter Regelungen für die Unternehmensleitung und -kontrolle. Die Diskussion über Corporate Governance begann in den USA bereits Ende der 70er Jahre. Über Großbritannien und den Combined Code kam die Diskussion nach Deutschland und mündete im Deutschen Corporate Governance Kodex. Der Kodex lehnt sich an das Verhalten des »ehrbaren Kaufmanns« an und will es durch seine Empfehlungen fördern. Insofern geht auch um gute Unternehmensführung. Aber der Kodex ist noch mehr.
Schon allein dass Regelungen guter Praxis als Empfehlungen schriftlich niederlegt sind, erhalten sie höhere Verbindlichkeit. Außerdem stellt der Kodex – wie es in der Präambel heißt – »wesentliche gesetzliche Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften« dar, um ausländischen Investoren die Besonderheiten und Vorzüge des dualen Systems mit Vorstand und Aufsichtsrat zu vermitteln. Diese umfassende Intention des Kodex beeinflusst natürlich auch das Verständnis von Corporate Governance: nicht nur Empfehlungen aus der Praxis für die Praxis zur Unterstützung der Selbstregulierung, sondern auch gesetzliche Vorschriften und gesetzesnahe Regelungen. Durch diese Mischung wird der Kodex als quasi-gesetzlich wahrgenommen. Inzwischen wird sogar schon befürchtet, dass der Kodex durch immer mehr und immer feinere Empfehlungen den Spielraum zur Selbstregulierung beschneidet.
Seit 2002 nun gibt es den Corporate Governance Kodex - der ist nicht wie ein Gesetz bindend, gibt aber Empfehlungen und Anregungen für eine gute Unternehmensführung und - überwachung. Hat sich der Kodex bis heute bewährt?
Willi Schoppen: Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Prof. Axel von Werder, der in meinem Buch einen Beitrag zu Kodexpraxis geschrieben hat, stellt klar, dass man die Befolgungsquoten der einzelnen Bestimmungen, also die in den Entsprechenserklärungen der Unternehmen ausgewiesene Akzeptanz, von der tatsächlichen Anwendung unterscheiden muss. Die erklärte Akzeptanz ist durchweg hoch, bei den Empfehlungen höher als bei den Anregungen. In Bezug auf die tatsächliche Anwendung beurteilt er die Wirkung des Kodex aber pessimistischer.
Ähnliche Erfahrungen habe ich auch in den Effizienzprüfungen von Aufsichtsräten gemacht, die ich begleitet habe. Einige Aufgabenbereiche, wie etwa Kontrolle oder die strategische Abstimmung mit dem Vorstand, werden seit Einführung des Kodex deutlich professioneller wahrgenommen. Dasselbe gilt auch für die Besetzung von Aufsichtsratsmandaten: Die objektiven sachlichen Anforderungen an die Mandatsträger stehen im Vordergrund, nicht mehr wie früher häufig der Klang des Namens oder die Zugehörigkeit zu einem Netzwerk. Dennoch gibt es immer auch Potential für Verbesserungen. Die Effizienzprüfungen bieten natürlich nur einen punktuellen Einblick; und den Aufsichtsräten, die sich für eine extern moderierte Effizienzprüfung entscheiden, darf man ohnehin eine kritische Haltung zum eigenen Tun unterstellen. Den Unternehmen ist der Wert guter Corporate Governance bewusst und sie sind deshalb bereit, sich den Spiegel vorhalten zu lassen. Allgemeine Aussagen zur Anwendung des Kodex bleiben also schwierig.
Was sind die Vorteile für Unternehmen, die nach diesem Kodex handeln?
Willi Schoppen: Selbstverständlich gibt es interne Vorteile. Gut nachvollziehbar ist das bei den Zukunftsthemen, zum Beispiel der Strategie. Aufsichtsräte und Vorstände, die durch intensive Diskussion wohlabgewogene Entscheidungen treffen - im Kodex heißt das lapidar, dass der Vorstand die strategische Ausrichtung mit dem Aufsichtsrat abstimmt - , stellen die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft. Das setzt natürlich einiges voraus, insbesondere aussagekräftige Informationen sowie kompetente, erfahrene und engagierte Aufsichtsrats- und Vorstandsmitglieder. So ist es kein Wunder, dass institutionelle Investoren bei ihren Anlageentscheidungen besonders auf die Tragfähigkeit der Strategie und die Besetzung von Vorstand und Aufsichtsrat achten, wie Interviews und Fachbeiträge im Buch deutlich machen.
An wen richten Sie sich in Ihrem Buch?
Willi Schoppen: Das Buch richtet sich an alle, die sich mit Fragen guter Unternehmensführung befassen, also Vorstände, Geschäftsführer, Aufsichtsratsmitglieder und solche, die es werden wollen, Gewerkschafter, Politiker und Interessierte in der breiten Öffentlichkeit. Angesprochen werden vor allem jene, die das breit gefächerte Meinungsbild der Praxis zum Stand und zur Zukunft der Corporate Governance in Deutschland kennen lernen wollen. Es ist ein Buch aus der Praxis für die Praxis, das Interviews mit und Fachbeiträge von Vorständen, Aufsichtsräten, Wissenschaftlern, Vertretern von Investmentgesellschaften und Gewerkschaftern zusammenführt.
Zum Herausgeber:
Willi Schoppen, Dr. der Wirtschaftswissenschaft und Diplom-Kaufmann, ist Mitglied der globalen Spencer Stuart Board-Practice und leitet diese in Deutschland. Seit 2002 unterstützt er Klienten bei der Besetzung von Vorstandsund Aufsichtsratspositionen und berät Unternehmen in Fragen der Corporate Governance. (Beruflich startete er als Berater von McKinsey, wurde Geschäftsführer der NUR Touristic GmbH und gründete die C&N Touristic AG, in deren Vorstand er saß.)
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