Wenn ein Unternehmen etwas Grundlegendes verändern will, erstellt es Szenarien und Vorstellungen von effektiver Organisation, legt passende Ziele fest, samt einem darauf basierenden Unternehmensleitbild. Dann geht es los: Konzepte werden auf Hochglanzpapier gedruckt und mit Bildern illustriert. Die Belegschaft wird in Sporthallen zu Großkonferenzen zusammengeholt, um ein Gemeinschaftsgefühl für den Veränderungsprozess herzustellen… Allzu oft bleibt nicht viel von den hehren Plänen übrig.
Wie sollen Zielbestimmungen und Leitbilder, die aus allzu offensichtlichen Plattitüden bestehen, die Mitarbeitenden auch erreichen? Ein gewisses Maß an Managementprosa à la »Wir wollen Weltklasseprodukte für einen Weltmarkt herstellen« mag ein Unternehmen zwar verkraften. Beschränken sich die propagierten Ziele jedoch auf solche Allgemeinplätze, verpufft die Wirkung in den Foyers und Fluren der Unternehmenszentralen. Veränderungsprozess: gescheitert.
Den Wandel konkret machen
Unternehmen müssen die Ziele des Wandels so konkret definieren, dass ihre Realisierbarkeit erkennbar ist. Zielbestimmungen und enge Ideologien motivieren die Mitarbeiter nur dann, wenn sie Strukturveränderungen definieren, realistische Zahlen nennen und klare, einhaltbare Prinzipien aufzeigen.
Gemeinsame Ziele und Werte verlangen von den Akteuren darüber hinaus, dass sich ihre Entscheidungen auch weitgehend daran orientieren. Ein positiver Effekt, denn gleichzeitig reduziert ein solches Vorgehen die Notwendigkeit, vor jeder Handlung wieder grundlegend neue Entscheidungen treffen zu müssen – eine zumindest temporäre Lösung für die Entscheidungsprobleme, mit denen Organisationen permanent konfrontiert werden.
Innovationen brauchen Spielraum
Schön und gut – aber präzise Ziele haben auch eine Kehrseite: Genaue Zielbestimmungen machen »dumm«. Ist das Leitbild zu genau beschrieben und die Ideologie des Wandels sehr eng definiert, wird der Spielraum für Veränderungen begrenzt. Innovationen finden nicht statt. Denn nur diejenigen, die im Sinne der gemeinsamen Zielbestimmungen handeln, können davon ausgehen, dass sie Konsens finden und Applaus ernten.
Erfolgreiches Chaos?
Wenn die Zeiten turbulent sind, kann es sogar sein, dass Organisationen ohne klare Ziele und Ideologien besonders erfolgreich sind. Sie können auf Umweltveränderungen besser reagieren. Einem »Witterungsbegabten« eröffnet sich, wenn er kein bestimmtes Ziel hat, ein Ziel ums andere. Es scheint also fast ein Glücksfall zu sein, dass sich Organisationen allen Bemühungen des Managements zum Trotz nie völlig auf eine eindeutige Zielbestimmung, präzise Leitbilder, Ideologien und Zwecke festlegen lassen. Langfristig führt dieses Unterlaufen dazu, dass das Handlungsspektrum der Organisation breiter wird – sie sollte ihren ungehorsamen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor deren Entlassung wenigstens kurz dafür danken.
Einen leichten Ausweg aus dem Dilemma gibt es nicht
Organisationen benötigen eine ausreichend enge Zielsetzung und Ideologie, um die Mitarbeiter für ein bestimmtes Projekt zu begeistern und um Orientierung zu geben. Zugleich schränkt genau das den Handlungsspielraum ein. Es geht darum, eine Mischung aus Ungenauigkeit und Zielstrebigkeit zu finden. Vor allem für Organisationen, die sich dem permanenten Wandel verschreiben wollen.
In Stefan Kühls Trilogie zu neuen Entwicklungen im Management sind unter anderem erschienen: »Das Regenmacher Phänomen. Widersprüche im Konzept der lernenden Organisation«, »Wenn die Affen den Zoo regieren. Die Tücken der flachen Hierarchien«, »Sisyphos im Management. Die vergebliche Suche nach der optimalen Organisationsstruktur«.
Zur Person
Stefan Kühl ist Professor für Soziologie mit Schwerpunkt Organisationssoziologie, an der Universität Bielefeld. Er arbeitet als Organisationsberater der Firma Metaplan für verschiedene deutsche Unternehmen.