Sie sind der CEO von Netlight, einem internationalen IT-Beratungsunternehmen mit tausend Angestellten. Und Sie propagieren das Prinzip »Führen ohne Hierarchie«. Wie passt das zusammen?
Erik Ringertz: Das wundert mich auch, und ich habe mich selbst schon oft in Frage gestellt. In meinem TED-Talk sagte ich bereits, dass ich wahrscheinlich als CEO mit meinen Ansichten ungefähr so glaubwürdig bin wie John Lennon, der, obgleich wohnhaft in einem Penthouse in Manhatten, in seinem Song »Imagine« andere fragen konnte, ob sie sich eine Welt ohne Eigentum vorstellen könnten. Aber es gibt schon auch eine Erklärung. Im Grunde geht es darum zu verstehen, dass CEO nur eine Position ist wie andere auch. Sie ist im Unternehmen rechtlich vorgesehen, und einer muss sie eben ausführen. Meine Position bei Netlight habe ich nicht, weil ich die CEO-Aufgabe ausführe, sondern weil ich seit vielen Jahren eine wichtige Rolle gespielt habe und ständig versuche, mein Wissen einzubringen. Ich versuche relevant zu bleiben. Sobald meine Relevanz fehlt, hilft mir auch mein CEO-Titel nicht weiter.
Sie sagen: »Führung ist eine Gabe, keine Rolle«. Was bedeutet das für Sie?
Erik Ringertz: Eine Führungsposition wird in den meisten Firmen als Mandat gesehen, also eine Beförderung, die einem zugewiesen wird. Dabei geht es meiner Meinung nach um eine Begabung, die unabhängig von Rolle und Mandat ist. Vor allem geht es darum, dass andere folgen wollen, während die traditionelle Art Führung zuzuteilen davon ausgeht, dass Leute angewiesen werden, jemandem zu folgen. In herkömmlichen Organisationen entstehen deshalb oft zwei Lager. Man spricht von formeller und informeller Führung. Meine Frage ist: Wozu brauchen wir die formelle Führung, wenn doch eine informelle ohnehin vorhanden ist?
Eine Unternehmenskultur kann man nicht anordnen und Motivation nicht kaufen. Wie haben Sie in Ihrem Unternehmen zur ganz eigenen und erfolgreichen Struktur gefunden?
Erik Ringertz: Darauf gibt es keine einfache Antwort, aber eine der wichtigsten Sachen in diesem Zusammenhang ist, dass Kultur und Struktur Hand in Hand gehen müssen. Viele Unternehmen sehen diesen Zusammenhang nicht und meinen, Kultur und Strukturexistierten unabhängig voneinander und Strukturen unabänderbar. Oft scheitert eine neue Kultur nicht an den Menschen, sondern daran, dass die Struktur sie verhindert. Zum Beispiel entsteht keine Kultur der Zusammenarbeit, wenn gleichzeitig Strukturen wie Gehaltmodelle individuelle Ergebnisse fördern.
In seinem Buch zeigen Sie, dass Unternehmer eine Wahl haben, denn es gibt diverse Möglichkeiten, ein Unternehmen zu führen. Sie raten dazu, den eigenen Weg zu beschreiten und zu tun, was sich im Innersten natürlich anfühlt. Wie findet man das am besten heraus?
Erik Ringertz: Das ist eine sehr gute Frage! Ich glaube, der erste Schritt ist es, überhaupt den Anspruch zu stellen, dass man sich doch wohlfühlen muss mit seinem Unternehmen. Der zweite Schritt ist es zu verstehen, dass es nie nur um einen selbst gehen kann. Wenn man diese Frage für sich entdeckt hat, kann man andere abholen. Es geht nicht darum, etwas komplett anderes zu machen. Ich gehe einmal davon aus, dass die meisten Leute mit den meisten Dingen an ihrem Arbeitsplatz zufrieden sind, sonst sollten sie sich lieber einen anderen Job suchen. Wenn man aber relativ zufrieden ist, kann man zusammen herausfinden, wie man noch zufriedener werden könnte.
Waren die Mitarbeiter von Anfang an bereit, mit in die Verantwortung zu gehen und das Unternehmen mitzugestalten?
Erik Ringertz: Das würde ich behaupten, ja! Das würde ich aber fast von jedem Arbeitsplatz. Ich glaube fest daran, dass Menschen an sich Verantwortung übernehmen wollen. Das Problem sind Unternehmen, deren Kultur und Strukturen den Mitarbeitern keine Verantwortung zutrauen. Dort wird auch kein Verantwortungsgefühl entstehen.
Sie sind als Speaker auf dem Change Congress eingeladen. Worüber werden Sie sprechen?
Erik Ringertz: Ich werde über all das sprechen, was wir jetzt besprochen haben. Im Mittelpunkt wird der Mitarbeiter als Vorbild stehen, der den Vorgesetzten komplett ersetzen kann. Statt Leuten einen Vorgesetzten vorzusetzen, sollten alle versuchen, Vorbilder zu sein und sich gegenseitig zu führen und folgen.
Zum Autor
Erik Ringertz ist CEO von Netlight Consulting, einem IT-Beratungsunternehmen mit über 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und vier Niederlassungen in Deutschland und der Schweiz. Er wurde als Chef des Jahres ausgezeichnet und lebt mit seiner Familie in München. Fredrik Emdén ist ein renommierter Wirtschaftsjournalist mit den Schwerpunkten Management und Führung.
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