Wirtschaft und Gesellschaft

Macht Krieg Sinn?

Nie wieder Krieg! Wie in kaum einem anderen Land hat sich bei uns die Überzeugung eingebrannt, dass Kriege nichts als Zerstörung bringen und deshalb unter allen Umständen zu verhindern sind. Sie kosten Unzähligen das Leben, hinterlassen verbrannte Erde und verwüsten Städte, ruinieren die Wirtschaft und lassen Gesellschaften kollabieren.

 

Krieg ist zu nichts gut, soweit die landläufige Meinung. Stimmt nicht, sagt jetzt Ian Morris, Stanford-Historiker und Autor des Campus-Bestsellers »Wer regiert die Welt?«, in seinem neuen Buch. Seine aufrüttelnde These: Zwar schaffen kriegerische Auseinandersetzungen in dem Moment, in dem sie wüten, die Hölle auf Erden. Auf lange Sicht jedoch, so das Fazit seiner umfassenden Globalgeschichte des Krieges, haben Kriege die Welt sicherer und reicher gemacht.

Krieg als Entwicklungsmotor, Zerstörung als Entwicklung, Barbarei als zivilisatorischer Fortschritt? Mit dieser Perspektive stellt der Meister des »Big Picture« unsere gewohnten Sichtweisen auf den Kopf. Sie ist Ergebnis einer nüchternen historischen Analyse, welche Folgen Kriege für die beteiligten Gesellschaften in verschiedenen Epochenhatten. Dabei spannt Morris einen weiten Bogen, von der Steinzeit über das Römische Reich bis in die Gegenwart, das Zeitalter atomarer Sprengkraft. Morris’ Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass das Leben im Verlauf der Jahrhunderte immer sicherer und friedlicher geworden ist. In der Steinzeit lag die Wahrscheinlichkeit, durch die Hand eines Mitmenschen umzukommen, zwischen zehn und 20 Prozent.

Um 1250 musste nur einer von hundert Westeuropäern damit rechnen, ermordet zu werden. Im 17. Jahrhundert war es dann noch einer von dreihundert und 1950 einer von dreitausend. Anders ausgedrückt: Nicht einmal die Weltkriege haben das 20. Jahrhundert auch nur annähernd so gefährlich gemacht wie die Steinzeit. Es hat also eine Entwicklung gegeben, in der Menschen immer seltener gewaltsam gegen andere vorgehen. Wieso aber haben sie sich diese Freiheit nehmen lassen?

Morris ist überzeugt, dass ausgerechnet Kriege Menschen in wachsendem Maße von gewaltsamen Mitteln abgebracht haben. Meist nämlich hat es Sieger und Besiegte gegeben. Den Besiegten waren die Mittel aus der Hand genommen worden, weiterhin kriegerisch vorzugehen, sie mussten sich fügen. Und in immer stärkerem Maße haben die Sieger sie in ihre Gesellschaften integriert. Diese größeren Gesellschaften wiederum konnten nur funktionieren, wenn ihre Herrscher stärkere Staaten entwickelten. Und mit das Erste, wofür diese Staaten sorgen mussten, wollten sie an der Macht bleiben, war die Unterdrückung der Gewalt innerhalb der Gesellschaften. Die historische Entwicklung lässt sich demnach auf eine einfache Formel bringen: Durch Kriege sind größere Gebilde wie Staaten entstanden und durch diese mehr Sicherheit. Morris geht sogar noch einen Schritt weiter. Krieg habe Gesellschaften nicht nur größer, stärker und sicherer gemacht, sondern auch reicher. Frieden in der Folge von Kriegen hat die Voraussetzungen für wirtschaftliches Wachstum und steigende Lebensstandards geschaffen. Der Weg dahin führte zwar durchs Chaos. Doch im Laufe der Zeit, so Morris, steht jeder Nachkomme einer neuen größeren Gesellschaft besser da als zuvor.

Was bedeutet Morris’ beunruhigender Blick für heute? Braucht es etwa weiterhin Kriege? Auch hier argumentiert der Historiker nüchtern-pragmatisch: Früher habe es sich gelohnt, Kriege zu führen. Im 21. Jahrhundert habe sich der Krieg jedoch selbst um seine mögliche positive Wucht gebracht. Unsere Waffen seien so destruktiv geworden, unsere Organisationen so effizient, dass der berühmte »eine Knopfdruck« ausreichen würde, binnen kürzester Zeit Millionen von Menschen zu töten. Ein solcher Krieg hätte tatsächlich nur Zerstörung zur Folge. Auch nach der Lektüre von Morris’ brisantem Buch könnte man noch sagen: Nie wieder Krieg! – Vermutlich wären wir nicht ganz so überzeugt von der Richtigkeit dieser Forderung, hätte es nicht die schrecklichen Erfahrungen von mehreren Kriegen gegeben.

 

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08.10.2013