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Wirtschaft und Gesellschaft

»Menschen unterwerfen sich den existierenden und immer neuen Technologien von sich aus.« Gisela Schmalz

»Wir lassen uns technologisch fremdbestimmen, während die Tech-Elite kassiert«, sagt Professorin Gisela Schmalz. In ihrem Buch enttarnt sie die Geschäftsmodelle aus dem Silicon Valley und aus China und fordert uns Nutzer dazu auf, endlich aufzuwachen. Im Interview mit campus.de spricht die Ökonomin und Philosophin über ihr aktuelles Buch »Mein fremder Wille«.

»Mein fremder Wille« lautet der Titel Ihres aktuellen Buches. Sie beschreiben uns darin als Sklaven der Technik, die ihren freien Willen geopfert haben. Wie groß ist das Ausmaß der Unfreiheit?

Gisela Schmalz: Ich beschreibe die Nutzenden als freiwillige Sklaven. Sie unterwerfen sich den existierenden und immer neuen Technologien von sich aus. Sie machen sich dabei so unfrei, wie sie es selbst zulassen. Jeder über 18 ist mündig und kann selbst entscheiden, wie er oder sie Technologien wozu nutzt und ob er oder sie Fremdmeinungen einfach so für sich adaptiert. Die Verantwortung für den Gebrauch von Social Media, smarten Anwendungen und anderen Hard- oder Softwareprodukten kann leider nicht auf böse Dritte abgewälzt werden, jedenfalls nicht immer.

 

Durch Tracking und die Welt der Sozialen Netzwerke wird das Denken und Entscheiden umgestaltet. Können Sie beschreiben, wie das genau funktioniert?

GS: Menschen neigen dazu, ihre Perspektive zu wechseln, wenn sie Social Media-Plattformen oder Tracker nutzen. Auf einmal betrachten sie ihr Äußeres, ihre Ideen oder ihre Werke (Social Media) und sogar ihre Körperlichkeit oder ihr Essverhalten (Fitnesstracker) aus einer externen Perspektive. Sie nehmen sich von außen und nicht länger von innen wahr. Sie übernehmen die Ansichten anderer Leute, die auf derselben Plattform posten, oder der Mitglieder aus der Selbstvermesser-Community auf sich selbst – beziehungsweise die über Daten und Algorithmen vermittelte Sichtweise über das eigene Ich.

 

Betrifft dieses Phänomen alle gesellschaftlichen Schichten gleichermaßen?

GS: Ja und nein. Jeder ist anfällig für die Verführungen neuer Technologien – schon weil sie praktisch sind und weil die Mitglieder der Bezugsgruppe sie nutzen. Zu beobachten ist aber, dass gewisse Bildungsschichten sich selbst und ihre Kinder zu einem reduzierten und kritischen Umgang mit innovativen Tech-Produkten hintrainieren, während der Rest alles, was da kommt, unreflektiert übernimmt. Die Schere zwischen Tech-Vorsichtigen und Tech-Gefährdeten geht derzeit immer weiter auf.

 

Die Figur des Influencers ist mit der Ära des Internets aufgekommen. Für viele sind das »Lichtgestalten«, die sie bewundern. Wie blicken Sie auf diese neue Berufsgruppe?

GS: Das Phänomen der Influencer ist ja nicht so neu. Prominente oder Fachleute auf ihren Gebieten haben stets mehr Einfluss als Personen ohne mediale Reichweite. Als Gatekeeper haben Influencer filternde Wirkung. In einer komplexen Online-Umgebung, in der unzählige Styling-Tipps, Meinungen und Ratschläge miteinander konkurrieren, bieten die Ansichten von Influencern Orientierung. Das Problem jedoch ist, dass anders als das Fernsehen, Zeitungen- oder Zeitschriften, niemand die Influencer-Flut filtert. Jedes Superhirn und jeder Idiot kann sich zum Influencer aufschwingen und irrwitzigen Einfluss erlangen – eben auch auf (junge) Menschen.

 

Sie beleuchten nicht nur die beruflichen Biografien der Tech-Elite, sondern beleuchten auch deren Privatleben. Was ist Ihnen dabei aufgefallen?

GS: Silicon Valley-Manager, -Programmierer oder -Marketingspezialisten halten sich und ihre Familien von den Tech-Produkten ihrer eigenen Firmen fern. Im Buch zeige ich auf, wie deren private Wenig- und Null-Tech-Strategien aussehen.

 

In Ihrem Buch liefern Sie vielfältige Vorschläge, wie Menschen ihre Willens- und Handlungsfreiheit zurückerobern können, ohne dabei auf die Vorteile neuer Technologien verzichten zu müssen. Wie sehen diese Vorschläge aus. Nennen Sie uns ein Beispiel?

GS: Um der wirklich umfassenden Macht von Big Tech-Konzernen von der US-Westküste und aus China zu begegnen, bieten sich individuelle, gruppenbezogene, nationale und übernationale Handlungsmöglichkeiten an.  Im Buch rufe ich nicht bloß nach einer Regulierung der Tech-Branche, wobei diese sicher wichtig ist. Ich fordere vielmehr politisch Verantwortliche und Nutzende dazu auf, endlich aufzuwachen. Konkret schlage ich wirtschaftliche und bildungspolitische Maßnahmen vor, fordere (Selbst-)Aufklärung und Aktionen von aufgeklärten Nutzenden. Was technologisch mit den Köpfen von Menschen und mit den Infrastrukturen von Gesellschaften passiert, ist womöglich bald so krass und irreversibel wie die Klimakatastrophe.

 

Die Autorin
Gisela Schmalz, Ökonomin und Philosophin, lehrt seit 2006 als Professorin Strategisches Management und Wirtschaftsethik und arbeitet als Strategieberaterin und Publizistin. Sie interessiert sich für den Zusammenhang von Freiheit, Demokratie und Ökonomie sowie für Machtstrukturen in der technologisierten Welt (www.giselaschmalz.com).

 

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24.02.2020