Wie haben sich die Anforderungen der Arbeitswelt in Zeiten von Industrie 4.0 und Digitalisierung verändert?
Svenja Hofert: In der ersten Phase der Industrialisierung waren wir selbst Werkzeuge, lebendige Tools. Wir schafften hart und körperlich. Wir brauchten kein Mindset, keine besondere Einstellung außer der, sich fleißig abzurackern. In der zweiten Phase wurden Maschinen die Tools. Wir begannen, sie zu steuern, und bildeten unsere technischen Fähigkeiten und Fertigkeiten aus. In der dritten Phase kam Software hinzu, die wir zur Auswertung und Optimierung von Prozessen und schließlich zur Automatisierung von Routinen nutzten. Das alles erforderte vor allem analytisches Prozessdenken, Regeleinhaltung und Konformität. Wir haben dabei versucht, ein bisschen wie Computer zu werden.
In der vierten Phase befinden wir uns mitten in der Digitalisierung. Wir stellen fest, dass ein anderes Zeitalter angebrochen ist. Kreativität, Intuition und Empathie sind jetzt die Kompetenzen der Zukunft. Woran wir uns in drei Phasen gewöhnt haben, wird plötzlich zum Hindernis. Denn künstliche Intelligenz kann einen Großteil unserer Aufgaben übernehmen — bis auf jene, die Kreativität, Intuition und Empathie erfordern. Eine friedliche Koexistenz von Mensch und künstlicher Intelligenz erfordert Rückbesinnung und die Rückgewinnung verlorener Menschenkräfte. Kein Computer kann so empathisch, intuitiv und kreativ sein wie wir.
Welche Chancen bietet die neue Arbeitswelt?
Svenja Hofert: Die wichtigste Chance liegt darin, die neue Arbeitswelt mitzugestalten. Jeder entscheidet mit darüber, was wir aus all den neuen Möglichkeiten machen und wie wir sie verwenden. Wir können uns von Arbeit befreien, die keine Freude bereitet, aber auch Menschheitsprobleme lösen. Der eine sieht Risiken, der andere Chancen. Ich sehe vor allem, dass wir – Sie und ich – entscheiden, was aus dieser Welt wird. Ich bin mir allerdings sicher, dass das nur gelingen kann, wenn wir die Vorteile der Künstlichen Intelligenz bewusst nutzen und die Gefahren von Datenmonstern begrenzen.
Mensch oder Computer – Wer wird Ihrer Meinung nach, die Arbeitswelt von morgen dominieren?
Svenja Hofert: Wenn wir nicht wollen, dass Roboter irgendwann den Menschen ausrotten wie der Homo Sapiens den Neandertaler, müssen wir jetzt die Weichen stellen. Der Computer ist kein Feind, wenn wir ihn als das programmieren, was er sein soll. Wir sollten mit dem Wettstreit um noch mehr menschliche Expertise, Analysefähigkeit und technisch-mathematische Intelligenz aufhören.
Das bedeutet, dass sich jeder auf seine Stärken besinnt: Mensch und Roboter, Hand in Hand. Wir sind keine Feinde. Die Digitalisierung ist keine Bedrohung, wenn wir uns dafür entscheiden. Sie ist eine Chance, uns von mühsamer und langweiliger Lohnarbeit zu befreien - und unsere Gehirne zu verändern. Wenn wir den Raum der daraus entstehenden Möglichkeiten nutzen, kann sie die Welt retten, weil sie uns die Chance gibt, uns auf wesentliche Herausforderungen wie die Bildung, Überbevölkerung, das Arm-Reich-Gefälle und die Folgen des Klimawandels zu konzentrieren.
Gibt es Berufszweige, die einem besonders starken Wandel unterliegen?
Svenja Hofert: Auf den ersten Blick sind es die einfachen Tätigkeiten, die am schnellsten wegfallen. Die Sprachtechnologie schreitet schnell voran. Nicht unwahrscheinlich, dass ein Computer bald die lästige Kaltakquise übernimmt. Im Bewerbungsprozess sind längst Chatbots aktiv.
Ich denke, dass wir uns vieles aber einfach noch gar nicht vorstellen können. Kürzlich suchte eine Behörde einen »Mindsetter«. Das hört sich verrückt an und man möchte sagen »spinnt ihr?«, aber dort entstehen auch neue Jobprofile, die so gar nichts mehr mit dem zu tun haben, was wir kennen. Einiges ist berechenbar, etwa dass wir Übersetzungen in der bekannten Form der Wort-für-Wort-Übersetzung nicht mehr brauchen – aber vieles ist auch noch gar nicht absehbar. Wenn wir aber beim Beispiel der Kaltakquise bleiben, zeigen sich auch die Chancen. Fast niemand macht das gern. Dem Computer aber ist es egal…
Was ist mit Menschen, die sich nicht so leicht umstellen können? Bleiben die zukünftig auf der Strecke?
Svenja Hofert: Alle werden sich umstellen müssen. Der Mensch hat sich immer angepasst. Aber die Verhältnisse könnten sich umkehren. Die vergangenen Jahrzehnte waren vor allem auf Menschen zugeschnitten, die sich dem Leistungskredo unterworfen haben. Die Zukunft könnte wieder mehr den Freidenkern vorbehalten sein. Das könnte man mit der Aufklärung vergleichen, damals ging es auch darum, den Fortschritt zu ermöglichen und das alte Denken zu verdrängen. Im Unterschied zu dieser Zeit, geht es nunmehr aber nicht um rationales Denken, sondern um intuitives. Das haben wir den Robotern nämlich voraus. Und das Human Brain Projekt der Europäischen Union ist noch lange nicht soweit, dass dies sich ändern könnte.
Was empfehlen Sie jungen Menschen, die jetzt ins Berufsleben starten?
Svenja Hofert: Sie brauchen eine starke Persönlichkeit, viel mehr als in meiner Generation üblich. Sie müssen andere Weichen stellen. Sie müssen sich auch gegenüber der KI positionieren, aber nicht im Leistungswettbewerb, sondern in Kooperation. Sie sollten sich bewusst sein, dass sie jederzeit entscheiden können, der oder die zu werden, die sie sein wollen. Überhaupt sollten sie sie sich fragen, welchen Sinn sie ihrer Existenz geben wollen. Denn sie werden mehr als je eine Generation zuvor in der Lage sein, das zu denken und in Handlung zu übersetzen. Im Grunde ist dann völlig egal, was man studiert, es sollte nur etwas sein, was den Kopf öffnet und nicht schließt. Ich hätte da eine leichte Präferenz zu Mix-Studiengängen und etwas Technik und Philosophie dabei. Aber weniger, um dann als fleißiger Angestellter zu überleben, sondern um mit dem Wissen mitgestalten zu können.
Ihr neues Buch trägt den Titel „Mindshift“. Was genau hat man sich unter »Mindshift« vorzustellen?
Svenja Hofert: Wenn sich »Mind« und »Shift« verbinden, dann entsteht ein Hebel, um das Denken, Fühlen und Handeln für die Zukunft zu verändern. Denken, Fühlen und Handeln wurden lange Zeit getrennt. Die Folge war eine künstliche Entkopplung, die der bisherigen Arbeitswelt geschuldet war. Hier stand das Handeln im Zentrum, Maßstab war ein Jobprofil, an das sich der Mensch anpassen musste. Wenn der Maßstab jedoch immer öfter Selbstverantwortung, ein kreatives Ergebnis und fruchtbare Kollaboration ist, wird individuelles Denken und Fühlen zum Dreh- und Angelpunkt.
Mindshifts bauen auf entwicklungspsychologischen und neurobiologischen Erkenntnissen auf und sind in meiner langjährigen Praxis immer wieder erprobt worden. Sie regen zur Reflexion an, welche die Basis jeder persönlichen und kollektiven Entwicklung ist. Sie fördern das Entstehen von neuen Verbindungen im Gehirn, was dem Lernen auf die Sprünge hilft. Letztendlich dehnen Sie Ihre Gedanken wie Yoga für den Kopf und erhöhen so Ihre geistige Flexibilität. Sie eröffnen sich einen neuen Zugang zu Veränderung sowie zu den Zukunftskompetenzen Kreativität, Empathie und Intuition.
Wer sollte Ihr neues Buch unbedingt lesen?
Svenja Hofert: Ich wünsche mir, dass mein Buch von denen gelesen wird, die ihre Welt und die von anderen ändern möchten. Die sich in Frage stellen, um die eigenen Ideen und Gedanken dadurch auf ein anderes Level zu heben. Das sind die Treiber, Gestalter, Vorangeher. Schön wäre es aber auch, die zu erreichen, die eine Hand suchen, die sie über die Brücke der Veränderung zum Neuen führt.
Die Autorin
Svenja Hofert ist Management- und Karriereberaterin. In den letzten 20 Jahren hat sie 35 Bücher geschrieben in bis zu acht Auflagen. Seit einigen Jahren widmet sie sich vor allem der Persönlichkeitsentwicklung und der Digitalisierung.