Wirtschaft und Gesellschaft

»Mitarbeiter werden zu Flachbildschirm-Robotern.« Gunter Dueck

Der Lack ist ab. Deutschland muss in Therapie, wenn es wieder zukunftsfähig werden will. Bestsellerautor Gunter Dueck erklärt uns, wie wir die Roboterisierung stoppen und die Innovation freisetzen.

Die Einleitung Ihres neuen Buches »Heute schon einen Prozess optimiert« überschreiben Sie mit: »Das Management frisst seine Mitarbeiter«. Was genau bedeutet das?

Gunter Dueck: Die Digitalisierung und die gängigen Methoden des prozessorientierten Effizienzmanagements gehen eine unheilvolle Allianz ein. Mitarbeiter werden zu Flachbildschirm-Robotern, sie werden durch Einsatzpläne hier und dort eingesetzt, die Arbeit wird verunpersönlicht (man hat es wie das Bahnpersonal mit immer anderen Menschen zu tun, auch bei den Banken, wo man sich einst kannte). Der Mitarbeiter wird kaum noch als Mensch mit einer Seele gesehen, nicht vom Kunden, nicht vom Chef – er ist Teil einer Prozesskette – und bald braucht man ihn gar nicht mehr. Die Innovationsseite der Digitalisierung braucht aber Spitzenpersonal! Das wird nicht verstanden, aber man klagt schon einmal über Fachkräftemangel.

 

Deutschland leidet Ihrer Ansicht nach an einer Systemneurose, die längst nicht mehr mit einer Politik der kleinen Schritte zu kurieren ist. Statt Schiffe zu bauen, um mit Ihnen in die Zukunft zu stechen, bauen wir seit Jahren Dämme, um Altbewährtes zu beschützen. Steckt Deutschland fest?

GD: Man wehrt sich gegen zu große Veränderungen (Solar, Selbstfahrautos, digitale öffentliche Verwaltung, Bildung). Bei Einzelpersonen spricht man von einer »Zwangsneurose« (Angst vor Neuem, Unordentlichen, Ungewissem, Nonkonformem). Ich stelle diese Diagnose im Buch nun auch den Unternehmen und dem Land. Viele einzelne Mitarbeiter wollen ja Innovation, aber das Ganze wehrt sich. Nicht der Einzelne ist zwangsneurotisch, sondern das System.

 

Ein Symptom der Neurose: Wir setzen nach wie vor auf Effizienz, doch was wir bräuchten, wäre Effektivität. Selbst Manager, sagen Sie, sind Getriebene, die die Kontrolle verloren haben. Wer könnte Licht ins Dunkel bringen? 

GD:Überall, wo es echte Führung gibt, geht ja alles. Die neuen großen Konzerne wie Amazon, Tesla, Google etc. sind von Visionären getrieben. In Schweden/Norwegen stellt man alles auf erneuerbare Energien um. Schiffe sollen dort mit Wasserstoff/Brennstoffzellen fahren. Und wo haben wir Firmen mit Wasserstofftechnologie? In Schweden (PowerCell) und Norwegen (Nel, Hexagon). Immerhin ist Bosch ja an PowerCell beteiligt, aber warum packen wir es nicht selbst an? Das jeweils Ganze muss sich einig sein, die gewohnten Ufer zu verlassen. Deutschland wird aber derzeit zu sehr von Wiederwahlpolitikern mit Wiederwahlprogrammen geprägt. Nur das Ganze bringt Licht.

 

Haben wir zu viel Angst vor der Zukunft?

GD: Wenn ein junges Paar ein Kind erwartet, nennt es oft schon in der Familie oder am Arbeitsplatz den geplanten Namen. Dann schütteln viele den Kopf und machen andere Vorschläge. Die Diskussion versinkt sehr schnell ins Chaos. Das junge Paar ist nicht mehr so sicher. Wenn man aber schweigt und den Namen nach der Geburt nennt, sagen alle »oh, wie schön« (na gut, oft etwas genötigt). So funktionieren heute unsere Politik, die Gremien, Meetings, und Innovationstudien. Sie diskutieren ohne Ende über »europäische Suchmaschinen«, »europäische Clouds«, wie immer das Kind heißen soll. Es muss unbedingt europäisch sein, weil dann ganz Europa mitzahlen muss, nicht nur der, der etwas beginnt. Das tut Elon Musk nicht. Er baut eine Giga-Factory in Brandenburg. Basta. Es ist nicht eine direkte Angst vor der Zukunft, es ist uns insgesamt der Schneid abhandengekommen, etwas neu zu beginnen. Wir merkeln vor uns hin. Es ging doch früher: Krupp, Thyssen, Bosch, Bayer, Daimler, Bayer, Neckermann, Otto, Siemens, Merck, Fresenius, Linde, Beiersdorf sind doch Eigennamen? Uns fehlen die Unternehmer, die uns andere Angsthasen mitnehmen. Die wachsen aber gerade neu heran, die Start-ups werden uns bald zeigen, wo es lang geht. 

 

Zum Autor

Gunter Dueck ist Mathematikprofessor und war bis August 2011 Chief Technology Officer bei IBM. Seitdem lebt er im Unruhestand. Er arbeitet als Autor, Netzaktivist, Business Angel und Speaker und widmet sich weiterhin unverdrossen der Weltverbesserung. Bei Campus erschienen seine Bücher »Das Neue und seine Feinde« (2013), »Schwarmdumm« (2015) und zuletzt »Flachsinn« (2017).

 

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12.02.2020

Wirtschaft & Gesellschaft

Heute schon einen Prozess optimiert?
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