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»Role Models wirken unserer Erfahrung nach noch stärker als die Frauenquote.« Miriam Wohlfarth, Nina Pütz

Miriam Wohlfarth, eine der ersten Fintech-Gründerinnen in Deutschland, hat gemeinsam mit Ratepay CEO Nina Pütz ein sehr persönliches Buch geschrieben, wie Unternehmensführung und -gründung heute funktioniert, welche Unternehmer-Skills dafür benötigt werden und was das für Recruiting und den Teamaufbau bedeutet. Im Interview mit campus.de sprechen Sie über weibliches Empowerment, Karrierechancen und die Unternehmerinnen von morgen.

 

In ihrem Buch »Die Macherinnen« haben Sie eine Mischung aus persönlichen Geschichten, Daten, Fakten und spannenden Expertenstatements zusammengetragen. An wen richten Sie sich mit Ihrem Buch?

Nina: Wir möchten in erster Linie Menschen ansprechen, die auf der Suche nach Inspiration für ihre eigene Karriere sind, egal ob CEO, Gründer:in, Mitarbeiter:in oder Berufseinsteiger:in. Die Mischung aus Miriams und meinen Erfahrungen, den Hard Facts und den Expert:innen-Statements soll eine Brücke zwischen Theorie und Praxis schlagen und kann sowohl eine Orientierung für Karrierestarter:innen sein als auch etablierten Unternehmer:innen eine neue Perspektive bieten.

Miriam: Auch wenn sich unser Buch nicht direkt an Frauen richtet, möchten wir durch unsere Sicht auf die Dinge einen Role-Model-Effekt schaffen, der insbesondere junge Frauen dazu ermutigen soll, an sich selbst zu glauben und sich nicht verunsichern zu lassen.

Sie sind definitiv Role Models für Unternehmer:innentum im Digitalsektor. Warum gibt es nach wie vor nur wenig Frauen in diesen Positionen, und wie kann man das ändern?

Nina: Sie sprechen das Thema Role Models schon selbst an - unsere Erfahrungen zeigen, wie enorm wichtig weibliche Role Models sind. Einmal wegen der Sichtbarkeit nach innen, um Frauen, die schon im Unternehmen arbeiten, zum nächsten Karriereschritt zu ermutigen. Dann in der Sichtbarkeit nach außen, um mehr weibliche Bewerber anzuziehen. Unternehmen sind also gut beraten, die wenigen Frauen, die es im Digitalsektor in Führungs-, Fach- oder Gründerpositionen gibt, sichtbar zu machen.

Role Models wirken unserer Erfahrung nach noch stärker als Instrumente wie die Frauenquote. Viele Frauen denken, dass sie nur mit Programmierkenntnissen gut in unserer Branche aufgehoben sind, dabei gibt es so viele verschiedene Rollen und Positionen, die nicht direkt etwas mit IT-Fachkenntnissen zu tun haben. Damit diese Vorurteile verschwinden, müssen wir mehr Frauen sehen können, die in unserer Branche und in den unterschiedlichsten Fachgebieten Karriere machen. Mentoring spielt hier auch eine große Rolle.

Miriam: Meiner Meinung nach steckt das größte Problem in unseren Köpfen. Uns wurde schon in der Schulzeit eingeredet, dass Mädchen über ein weniger ausgeprägtes mathematisches, betriebswirtschaftliches oder technisches Denken verfügen würden als Jungs und stattdessen eher künstlerisch und sozial veranlagt seien. Die Schulbildung trägt enorm viel zu unserem Rollendenken bei, und deshalb sollten wir uns für ein stereotypfreies Schulsystem einsetzen. Ich selbst engagiere mich schon seit längerem bei der Hacker School, weil ich der Meinung bin, dass Kinder in ihren Talenten gefördert werden und möglichst abseits von Geschlechterklischees die Option erhalten sollten, Skills wie ihr IT-Wissen weiter auszubauen.

Was möchten Sie gerade den Unternehmerinnen von morgen mit auf den Weg geben?

Miriam: Meine Devise: Einfach machen! Klar, das braucht eine gewisse Portion Mut, und diesen Mut zu fassen, ist meist die größte Hürde. Ich hatte schon mit vielen Menschen zu tun, die definitiv das Zeug dazu haben, Unternehmer:in zu sein, sich aber nicht trauen, den letzten Schritt zu gehen. Vor allem Frauen neigen dazu, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen, und das muss so nicht sein. Ich kann zum Beispiel jeder Frau raten, sich Unterstützung bei ihren Karriere- oder Gründungsplänen zu holen - zum Beispiel durch Mentor:innen oder Frauennetzwerke –, das ist ein Zeichen von Stärke und nicht von Schwäche! 

Nina: Wir sind Unternehmerinnen und keine Superheldinnen! Jede:r hat seine Stärken und Schwächen und deshalb gehört es auch dazu, sich seiner eigenen Grenzen bewusst zu werden - Selbstreflexion ist der Schlüssel zur Ausgeglichenheit. Es ist nicht schlimm, sich nicht in allen Bereichen auszukennen, die für das eigene Unternehmen wichtig sind. Deshalb ist es wichtig, sich Personen ins Boot zu holen, die in ihren Bereichen gerne mehr wissen und können dürfen als der Chef oder die Chefin. Aufgaben abzugeben ist ein wichtiger Teil des Unternehmertums, zumal andere Perspektiven und Expertisen für enorme Bereicherung sorgen.

Ihr Buch ist in drei große Abschnitte gegliedert: Im ersten Teil geht es um Ihre persönlichen Anfänge, im zweiten um Teams und die Vorbilder, die Sie begleitet haben, im dritten Teil geht es um die Umbrüche, die Sie erlebt und aus denen Sie viel gelernt haben. Was waren für Sie jeweils die wichtigsten Learnings?

Miriam: Das wichtigste, was ich aus meinen Anfängen gelernt habe, ist, dass nicht immer ein gerader Karriereweg nötig ist, um am Ziel anzukommen. Man sollte sich viel mehr auf sich selbst fokussieren, auf das eigene Bauchgefühl hören und sich nicht zu sehr von außen beeinflussen lassen. Zum Glück – Thema Vorbilder – hatte ich immer wieder Vorgesetzte oder Geschäftspartner:innen, die mir gezeigt haben, dass die eigene Vision das wichtigste ist und man sich von niemandem davon abbringen lassen sollte. Außerdem habe ich über die Jahre gesehen, wie wichtig Risikobereitschaft ist. Da sind wir in Deutschland leider immer noch zu zaghaft, zu sicherheitsbewusst. Innovationen entstehen nur, wenn jemand mal ohne Schwimmflügel ins kalte Wasser springt.

Nina: Wenn ich auf die Anfänge meines Berufslebens und die Jahre danach zurückschaue, dann stelle ich fest, dass Eigenschaften wie Ausdauer, Disziplin und Willen oft wichtiger sind als fachliches Talent. Ich hatte viele Kolleg:innen und Chef:innen, die mir das vor Augen geführt haben – im Guten wie im Schlechten.

Aus den Krisen und Umbrüchen der letzten Jahre habe ich gelernt, dass nichts so heiß gegessen wie gekocht wird. Wenn es nicht gerade um Schicksalsschläge geht, findet sich für jedes Problem eine Lösung - transparente Kommunikation auf Augenhöhe ist das A und O. Ein ehemaliger Vorgesetzter hat mir einmal gesagt »Nina, frage dich bei Krisen immer: What is it that I’m learning here?« Daran halte ich mich noch heute, denn jede Krise bringt einen persönlich weiter, auch wenn es erstmal ungemütlich wird.

Auch klassische Unternehmensthemen wie Leadership, Krisenmanagement oder Recruiting im War for Talents kommen auf den Tisch. Wie wichtig ist es ihnen, dabei über den nationalen Tellerrand hinauszuschauen?

Nina: Es ist immer wieder spannend zu sehen, wie unterschiedliche Nationalitäten mit diesen Themen umgehen, und davon können wir noch viel lernen. Was moderne Unternehmenskultur anbetrifft, da sind die skandinavischen Länder schon viel weiter als wir in Deutschland. Bezogen auf Diversität in Unternehmen können wir uns von den USA eine große Scheibe abschneiden. Führungskräfte müssen die Entwicklungen in anderen Ländern konstant im Blick behalten, es reicht heutzutage nicht mehr aus, sich einmal Wissen anzueignen und sich danach im Chefsessel zurückzulehnen.

Miriam: Wir im Digitalsektor haben ein riesiges Fachkräfteproblem. Ich wünsche mir, dass in Deutschland Themen wie länderübergreifendes Arbeiten oder Mitarbeiterbeteiligungen mal ernsthaft angegangen werden, sonst werden wir im War for Talents bald ganz schön doof aus der Wäsche schauen. Dasselbe beim Thema Gründungen: Einerseits wird bei uns dauernd zu Unternehmensgründungen aufgerufen, andererseits sind die bürokratischen Hürden so hoch, dass ich es total verstehe, wenn Gründer:innen die Puste ausgeht oder sie sich entschließen, in einem anderen Land zu gründen. Das können wir uns gesamtwirtschaftlich einfach nicht leisten.

 

 

07.07.2022

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Die Macherinnen
Die Macherinnen
Hardcover gebunden
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