Immer mehr Geld, immer mehr Macht: Die Schere zwischen arm und reich öffnet sich weiter. Sie haben gerade ein Buch über Superreiche geschrieben. Wächst ihr Einfluss auf unsere Wirtschaft und Gesellschaft ebenfalls an?
Heike Buchter: Superreiche verfügen über Milliardenvermögen, Summen, die schwer vorstellbar sind und dadurch abstrakt bleiben. Man nimmt Nachrichten über Elon Musk oder Bernard Arnault, den französischen Luxusmogul, die aktuell die Milliardärslisten anführen, zur Kenntnis – je nach Einstellung anerkennend oder kritisch. Doch diese Akkumulation – die historisch ist – hat konkrete Auswirkungen darauf, wie wir leben. Welche Produkte entwickelt werden, ob unsere Mietwohnungen und Gesundheitsversorgung bezahlbar sind. Ihnen gehören ganze Landstriche und natürliche Ressourcen, die damit uns entzogen werden. Sie dominieren den Kunstmarkt – und bestimmen mit, was in den Museen der Welt zu sehen ist – oder auch nicht mehr zu sehen ist, weil es in einem Tresor oder einem Anwesen gelandet ist. Über von ihnen eingerichtete Thinktanks können sie gesellschaftliche Debatten steuern. Superreiche haben bevorzugten Zugang zur Wirtschaft, zu Finanzmärkten und vor allem zur Politik. Letztlich stellen sie unsere Demokratie in Frage.
In Ihrem Buch zeigen Sie, dass die Superreichen der Welt zunehmend Menschen sind, die nichts Eigenes erfunden oder entwickelt haben, sondern die aus ererbtem Reichtum immer größeren Reichtum machen. Wie sieht das konkret aus?
Heike Buchter: Zum Milliardär wird man nicht, indem man ein Produkt erfindet und dann vermarktet, oder ein erfolgreiches Unternehmen betreibt. Was die heutigen Reichen zu Superreichen macht, ist der Turbo des Finanzkapitalismus. Nehmen wir etwa Arnault. Er ist der größte Einzelaktionär von LVMH, eines börsennotierten Unternehmens. Den Luxuskonzern, zu dem etwa die Modemarke Louis Vuitton und der Juwelier Tiffany’s gehören, hat er mit dem Geld seines Vaters, eines Industriellen, zusammengekauft. Er hat also keine einzige Handtasche entworfen und nicht ein Goldkettchen geschmiedet. Zum reichsten Mann der Welt hat ihn der Kursanstieg von LVMH gemacht, das erste europäische Unternehmen, das Anfang 2022 an der Börse mehr als 500 Milliarden Dollar wert war. Diese Kursgewinne sind zunächst nur auf dem Papier, doch die Aktien lassen sich beleihen und so als Sicherheit für den Kauf von Immobilien und anderen Vermögenswerten einsetzen. Superreiche haben inzwischen eigene private Finanzfirmen, die dafür sorgen, dass das Vermögen möglichst immer weiterwächst. In die Reihen der Superreichen stößt nur vor, wer vom Finanzmarkt in dieser Weise profitieren kann. Auch Elon Musk verdankt seine Milliarden weniger seinem Einfallsreichtum als diesen Mechanismen.
Unser Finanzsystem ist ihre Geldmaschine, schreiben sie. Wieso schaut die Politik nicht genauer auf diese Maschine?
Heike Buchter: Die Akteure am Finanzmarkt sind sehr gut darin, ihr Gewerbe so intransparent und komplex wie möglich aussehen zu lassen. Dazu dienen unverständliche Begriffe, mit denen dort herumgeworfen wird. Außenstehende – und damit auch Politiker – haben das Gefühl, sie verstünden nicht genug, um durchgreifen und Veränderungen durchzusetzen. Selbst wenn die Branche katastrophale Krisen auslöst, fühlen sich Regierungen gezwungen, das Finanzsystem zu retten – meist sogar ohne weitreichende Konsequenzen für die auslösenden Akteure. Wie etwa 2008. Klar ist das Finanzsystem fundamental wichtig für unsere Wirtschaft und unseren Wohlstand. Doch inzwischen ist es von einer dienenden Funktion zu einem beherrschenden geworden und wir alle zahlen dafür.
Zu den Superreichen gehören auch Menschen, die nur Insider kennen, aber deren Reichtum mit einer starken Machtkonzentration einhergeht. Macht es diese Klasse noch gefährlicher, wenn sie in weiten Teilen unerkannt bleibt?
Heike Buchter: Viele Menschen stellen inzwischen die Demokratie in Frage. Ich glaube, dahinter steckt nicht zuletzt das Gefühl, dass einzelne Interessen ungebührlichen Einfluss haben. Dagegen hilft nur Transparenz. Interessanterweise habe ich gerade in Deutschland festgestellt, dass Superreichtum dort als Privatsache angesehen wird und im Verborgenen wirken kann. Deutschland ist eines der Industrieländer mit der höchsten sozialen Ungleichheit. Es ist wichtiger denn je, die Mächtigen zu »outen« und zu wissen, um wen es sich handelt. Das war eines meiner Anliegen mit dem Buch.
Müssen wir uns mit dem Status Quo abfinden oder gibt es etwas, das getan werden könnte und auch getan werden sollte, um Gesellschaft und Demokratie vor dem Einfluss der Superreichen zu schützen?
Heike Buchter: Mir ging es nicht darum, Superreiche per se anzuprangern. Dass es sie gibt, ist letztlich ein Symptom für das Versagen unseres wirtschaftlichen und politischen Systems. Und da müssen wir ansetzen. Es geht darum, die Mechanismen zu enttarnen, die zu diesem gefährlichen gesellschaftlichen Ungleichgewicht führen. Es gibt durchaus Stellschrauben, an denen wir drehen können. Etwa bei der Vergabe von Patenten, bei der Regulierung von Monopolen. Letztlich aber wird es Zeit, unsere Werte zu überdenken. Wenn wir alles mit einem Preis versehen, dann ist es kein Wunder, wenn alles käuflich ist.
Vielen Dank für dieses Interview!
Heike Buchter berichtet seit 2001 von der Wall Street. Als New Yorker Korrespondentin für »Die Zeit« sagte sie ihrer Redaktion Anfang 2007 die Finanzkrise voraus. Und sie war 2015 die Erste, die mit ihrem Buch »BlackRock« den größten Vermögensverwalter ins Scheinwerferlicht gerückt hat. In »Ölbeben« warnte sie 2019 vor Deutschlands Energieabhängigkeit.