Sie haben mit ihrem Buch, »Die globale Wirtschaftselite« eine Legende entzaubert. Ihre These: Die globale Wirtschaftselite, die die Fäden zieht und von den Großkonzernen aus die Welt regiert, gibt es nicht. Was ist die entscheidende Konsequenz daraus?
Michael Hartmann: Die entscheidende Konsequenz ist, dass Widerstand gegen die Interessen der Wirtschaft viel aussichtsreicher ist, als die Annahme einer weltweit vernetzten globalen Wirtschaftselite vermuten lässt. Gäbe es diese Elite nämlich, könnte sie ihre Interessen weitgehend ungehindert durchsetzen; denn es stünde ihr keine auch nur annähernd gleichstarke Gegenkraft gegenüber. Die Regierungen sind im Kern immer noch national organisiert und die globalisierungskritischen Bewegungen wie Occupy oder Attac sind dafür viel zu schwach.
Harvard, Oxford und Co gelten jeher als Brutstätten einer globalen Wirtschaftselite? Ist das folglich auch ein Trugschluss?
Michael Hartmann: Auch das ist ein Trugschluss. Von den 1300 wichtigsten CEO dieser Welt hat gerade einmal ein Prozent an den beiden berühmtesten europäischen Business Schools studiert, der London School of Economics und am INSEAD in Fontainebleau. An den Eliteuniversitäten der USA wie vor allem Harvard waren zwar gut zehnmal so viele. Es handelt sich aber zu vier Fünfteln um US-Amerikaner. Die Mitglieder der Wirtschaftseliten besuchen zu über 90 Prozent die Hochschulen ihres Landes. Bei den 1000 reichsten Menschen der Welt bietet sich dasselbe Bild.
Wir leben in einer Zeit großer Mobilität – man kann theoretisch überall leben und arbeiten. Dennoch zeigen Sie, dass die überwältigende Mehrheit der Spitzenmanager und Milliardäre ihr ganzes Leben, was die Ausbildung, die Berufslaufbahn, den Wohnort angeht, in dem Land bleiben, in dem sie auch groß geworden sind. Was bindet sie so stark?
Michael Hartmann: Es sind vor allem zwei Faktoren. Einmal leben die meisten von ihnen am liebsten an Orten, wo ihnen Kultur und Sprache vertraut sind. Zum anderen sind viele aus geschäftlichen Gründen an ihr Heimatland gebunden. Topmanager können nur dort von den Vorteilen profitieren, die die immer noch vorwiegend national ausgerichteten Karrierewege bieten. Milliardäre müssen in dem Land leben, in dem die Quellen ihres Reichtums liegen. Das ist zumeist ihr Heimatland. Deshalb leben von den 45 reichsten Russen auch nur zwei außerhalb Russlands, fast 40 jedoch allein in Moskau.
Aus welcher Motivation haben Sie Ihre Untersuchung begonnen, bei der Sie sich über 20 Jahre hinweg die 1000 größten Unternehmen, ebenso wie die weltweit 1000 reichsten Personen angesehen haben?
Michael Hartmann: Ich habe vor knapp 20 Jahre begonnen, mich mit der Thematik zu beschäftigen. Damals hat mich geärgert, wenn die Topmanager ihre rasant steigenden Einkommen mit der internationalen Konkurrenz um die Topleute begründet haben. Ich habe in mehreren empirischen Studien nachgewiesen, dass das nicht stimmt. Seit etwa zehn Jahren stehen für mich nicht mehr die enormen Gehälter im Vordergrund, sondern die Aussage der meisten Politiker, man könne gegen die globale Wirtschaftselite keine nationale Politik mehr machen und müsse die Steuern für die großen Unternehmen und die Reichen daher senken. Auch das fand ich falsch und wollte nachweisen, dass es diese globale Elite nicht gibt und man auf nationaler Ebene mehr Handlungsspielräume hat – gerade in der Steuerpolitik – als man immer vorgibt.
Ihrer These zufolge hat die Politik mehr Handlungsmöglichkeiten gegenüber den Wirtschaftseliten als es gemeinhin (von ihr selbst) dargestellt wird?
Michael Hartmann: Da es die globale Wirtschaftselite nicht gibt, kann die Politik der Wirtschaft gegenüber entschiedener auftreten als seit langem üblich. Man muss ihren Wünschen in Steuerfragen nicht permanent nachgeben. Man kann die Steuern auch wieder erhöhen. Die neue kanadische Regierung hat das gerade gemacht und den Spitzensteuersatz um vier Prozentpunkte angehoben. Er reicht dort jetzt je nach Provinz bis an die 60 Prozent heran.
Michael Hartmann war bis Herbst 2015 Professor für Soziologie an der TU Darmstadt. Sein Schwerpunkt ist Elitenforschung. Hartmann steht für die These, dass Herkunft maßgeblich über den Erfolg entscheidet. Bei Campus sind von ihm mehrere Bücher zum Thema Elite erschienen, zuletzt "Soziale Ungleichheit. Kein Thema für die Eliten?".
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