*** Bitte geben Sie Ihre Weihnachtsbestellung bis 15. Dezember auf. *** Mehr Infos
Wirtschaft und Gesellschaft

»Wir müssen die Art und Weise, wie wir künftig zusammenleben, neu erfinden. Das kann viel Spaß machen.« Petra Pinzler

Wo sind die Ideen, die uns ein gutes Leben bringen, und wer will uns dagegen Rückschritt als Fortschritt verkaufen? Zukunft oder nicht - Petra Pinzler sortiert die Fäden. Ihr Buch »Hat das Zukunft oder kann das weg?« beantwortet die großen Fragen mit lebensnahen Antworten und misst die kursierenden Fortschrittskonzepte an den gegenwärtigen Herausforderungen. Kurz: Zukunftsweisendes Aufräumen in unsicheren Zeiten.

Ihr Buch, »Hat das Zukunft oder kann das weg«, soll als Kompass auf dem Weg in eine gute Zukunft dienen. Der ganz privaten und der des Landes. Woraus können wir Kraft für eine positive Veränderung schöpfen?

Petra Pinzler: Indem wir etwas tun. Klingt banal, ist banal - wirkt aber trotzdem. Denn Kraft entsteht durch Handeln. Oder konkret: Menschen, die etwas tun - für sich, für andere, für die Gesellschaft oder die Umwelt - sind fröhlicher und optimistischer als diejenigen, die wegen der vielen Krisen immer tiefer im Frust oder in der Angst versinken oder die Probleme zu verdrängen versuchen.

 

Sie schreiben: »Wir können die Wohnungstür schließen, die Nachrichten abschalten und Katzenfilmchen gucken.« Dennoch bleibt die Frage »Wie wird es weitergehen?« Müssen wir unsere Vorstellung davon, was Fortschritt ist, erstmal grundsätzlich renovieren?

Petra Pinzler: Ja. Dass DER Fortschritt uns rettet, glauben inzwischen immer weniger Menschen. Die weit überwiegende Zahl blickt düster in die Zukunft. Das liegt zum einen an der Häufung der Krisen, zum anderen aber auch daran, dass viele Leute entweder Angst vor Veränderung und damit auch vor dem Fortschritt haben. Oder sie verwechseln ihn mit einem neuen Handymodell oder mit anderen neuen Dingen. Zwar sind solche technischen Innovationen wichtig - ohne sie werden wir viele Problem nicht lösen: Weder den Kampf gegen die Umweltkrisen oder die nächsten Pandemien. Aber sie reichen für ein gutes Leben nicht aus. Dafür brauchen wir auch soziale Innovationen und politische Phantasie. Wir müssen beispielsweise die Art und Weise, wie wir künftig zusammenleben, neu erfinden und das kann viel Spaß machen. Denken Sie nur an die Städte: Moderne Zentren brauchen künftig viel mehr Grün, um auch in heißen Sommern lebenswert zu bleiben. Wir müssen anders bauen und mehr Begegnungszentren schaffen, damit nicht immer mehr Menschen vereinsamen. Und wir brauchen gute Ideen, damit sich diejenigen, die auf dem Land leben, nicht ständig abgehängt fühlen und deswegen auch der Demokratie misstrauen. An all das denken die wenigsten, wenn sie »Fortschritt« hören. Dabei können genau solche Innovationen dafür sorgen, dass der »Fortschritt« wieder zu einer Hoffnung wird und die Zukunft weniger beängstigend.

 

An einer Stelle Ihres Buchs schildern Sie ein Programm an der Akademie Tutzing, in dem die Teilnehmer:innen ihre »Utopie-Muskel trainieren« sollen - wie lassen sich in unsrer krisengeschüttelten Gegenwart überhaupt Utopien entwerfen?

Petra Pinzler: Wir alle träumen doch von einer besseren Welt, jedenfalls hin und wieder. Damit solche Utopien jedoch zur Wirklichkeit werden, reicht Träumen allein nicht aus. Wir müssen in einem zweiten Schritt viel mehr darüber nachdenken, an welchen Punkten wer etwas verändern kann und muss.

Was unsere Rolle dabei sein kann, was sich politisch ändern muss und was gesellschaftlich. Genau darum geht es in solchen Workshops: Darum, die Ohnmacht und die Verzweiflung über die Gegenwart zu überwinden und zu beginnen, Wünsche in Wirklichkeit zu verwandeln. Das mag erst einmal utopisch oder sogar naiv klingen. Aber es ist ein bewährtes Rezept, es hat über viele Jahrhunderte funktioniert. Unser Leben ist doch nur deswegen so gut, weil auch in früheren Zeiten Menschen bereits Utopien hatten. Sie träumten vom Verbot der Kinderarbeit, vom Mutterschutz und vom Fliegen. Und dann machte sich jemand daran, das in die Realität umzusetzen – durch neue Erfindungen, politische Bewegungen oder neue Gesetze. Auch damals haben sicher viele Zeitgenossen zunächst über die vermeintliche verrücken Idee geschmunzelt.

 

Wie begegnen Sie Menschen, die angesichts der nationalen und internationalen politischen Lage – den Kriegen, wachsender Ungleichheit, der Klimakrise - den Sinn für jegliche Form des Allgemeinwohls verloren haben?

Petra Pinzler: Äußerlich höflich, innerlich entnervt. Denn diese Ichlinge übersehen einen entscheidenden Punkt: Es gibt auch für sie keine Flucht von diesem Planeten – jedenfalls nicht in den kommenden Jahrzehnten. Die ganz Reichen können vielleicht noch nach Neuseeland, in Bunker oder hinter immer höhere Zäune flüchten. Aber für die meisten Menschen ist das keine Lösung. Und deswegen betrifft es uns alle, wenn Gesellschaften implodieren, weil sich immer weniger Leute um das Gemeinwohl kümmern.

Mal ganz abgesehen davon, dass das Leben in den Ländern, in denen es vielen Menschen gut geht, auch in Zukunft schöner, sicherer und interessanter erscheint. Und genau dafür braucht es unser aller Engagement. Wir wollen doch auch künftig unbeschwert im Allgäu wandern, in Berlin ins Theater oder am Ostseestrand spazieren gehen können.

 

Sie gehen in Ihrem Buch viel auf die Repräsentationsprobleme der etablierten Parteien ein. Wie können es Parteien in einer Gesellschaft der Singularitäten schaffen, wieder übergreifende Ideen und Strategien zu entwickeln?

Petra Pinzler: Indem sie mehr zuhören. Und indem sie ihre Werte modernisieren. Die SPD müsste neu darüber nachdenken, was Gerechtigkeit heute bedeutet – wenn auch die nächste Generation noch etwas davon haben soll. Die FDP muss überlegen, was Freiheit für alle vom Egoismus der Wohlhabenden unterscheidet.  Die Grünen müssten bei ihren ökologischen Projekten die gesellschaftlichen Wirkung viel früher mitdenken. Und die CDU sollte mal darüber nachdenken, was sie als konservative Partei verändern muss – damit sie die Heimat wirklich bewahren kann.

 

Was ist für Sie ein gutes Leben?

Petra Pinzler: Dazu gehört unbedingt, meine Meinung offen sagen zu dürfen. Mit klugen Leuten über gute Ideen streiten zu dürfen. Neues lernen und erleben zu dürfen. Für den Notfall ein Sicherheitsnetz zu haben, also in einer solidarischen Gesellschaft leben zu dürfen. Und mir keine allzu großen Sorgen um meine Liebsten und mein Land machen zu müssen - was unbedingt zusammenhängt. Gutes Leben hat also mit einer anregenden Gegenwart, und mit der Hoffnung auf eine gute Zukunft zu tun.

 

Wer sollte Ihr Buch unbedingt lesen?

Petra Pinzler: Diejenigen, die neue Ideen brauchen – für ihr Engagement, für die Gesellschaft und die Politik. Und alle, die gern ein unterhaltsames Sachbuch lesen möchten. Denn das war mit beim Schreiben wichtig: Das Lesen soll Spaß machen.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Sie möchten unser Interview zweitverwerten. Wenden Sie sich an: schellhase@campus.de

30.08.2024

Wirtschaft & Gesellschaft

Hat das Zukunft oder kann das weg?
Hat das Zukunft oder kann das weg?
Hardcover gebunden
29,00 € inkl. Mwst.