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»Wer Industrie 4.0 will, kommt mit Kultur 0.4 nicht weit.« Purps-Pardigol/Kehren

Wie gewinnen Führungskräfte ihre Mitarbeiter für den Wandel? Sebastian Purps-Pardigol und Henrik Kehren zeigen, wie der Wandel gemeinsam gelingt.

Sie berichten in Ihrem Buch von digitalen Erfolgsgeschichten in Unternehmen. Anhand von mehr als 150 Interviews in über 30 Firmen haben Sie 12 Unternehmen ausgewählt, die die eigene digitale Transformation vor­bild­haft vorantreiben. Was haben sie gemeinsam?

Henrik Kehren: Wir wollten Protagonisten, die Digitalisierung nicht so verstehen, dass man lediglich veraltete Hardware durch neue, digitalisierte Gegenstände ersetzt. Somit war ein wesentliches Kriterium bei der Selektion, dass die porträtierten Unternehmen auf dem Weg sind zu einer Neuausrichtung ihrer Geschäftsmodelle von einer produkt- zu einer service-dominaten Logik. Sie alle eint die Erkenntnis, dass die digitale Transformation weniger eine technologische als vielmehr eine menschliche Herausforderung darstellt. Es bedarf eines Kulturwandels im Unternehmen. Der Mensch gehört bei der Betrachtung in den Fokus.

Sebastian Purps-Pardigol: Die von uns ausgewählten Unternehmen hatten erkannt, dass eine digitale Transformation und der kulturelle Wandel Hand in Hand gehen. Lässt man Letzteres außen vor, gelingt Ersteres nicht. Für mich persönlich ist das eine wunderbare Erkenntnis: Wir befinden uns am Beginn eines immer größer werdenden kulturellen Wandels in vielen Organisationen – und die Digitalisierung ist der Motor dafür.

 

Wenn es ein Muster des Gelingens gibt, gibt es auch ein Muster des Scheiterns?

Henrik Kehren: Wir belegen im Buch anhand verschiedener Studien, dass eine hohe Kompetenz in manchen Gebieten nicht automatisch eine hohe Kompetenz in einem neuen Kontext bedeuten muss – beispielsweise bei Themen der digitalen Transformation. Verschiedene Studien zeigen, dass Menschen, deren eigene Meinung stark ausgeprägt ist, überwiegend nach Informationen suchen, die ihre Meinung noch bestätigen. Selbst dann, wenn sie falschliegen. Beispielsweise findet Marktbeobachtung noch regelmäßig allein innerhalb der eigenen Branche statt, obgleich bekannt ist, dass neue Wettbewerber längst aus ganz anderen Segmenten kommen können. Im Ergebnis bleibt man allzu oft gefangen in alten Denk- und Handlungsmustern. Einstellungen wie »Das haben wir schon immer so gemacht, das funktioniert doch« lassen den Betrieb in Trägheit verharren, anstatt sich gegenüber neuen Geschäftsmodellen zu öffnen. 

Sebastian Purps-Pardigol: Die Muster des Scheiterns sind doch allgemein bekannt. Da braucht es nur einen kurzen Blick nach Wolfsburg, um zu merken: Die tradierten Führungsformen, in denen gerne mit Angst und Druck agiert wurde, können zu mehr als ungünstigen Ergebnissen für das Unternehmen führen. Chefs, die keine andere Meinung zulassen und glauben, im Elfenbeinturm die Lösungen für die aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen entwickeln zu können, werden in Zukunft immer öfter die Erfahrung unternehmerischen Scheiterns machen. 

 

Worin liegt der Schlüssel, die Mitarbeiter mitzunehmen, damit sie die digitale Trans­formation begeistert mittragen und weiteres unternehmerisches Wachstum möglich ist?

Sebastian Purps-Pardigol: Es gibt nicht »den einen Schlüssel«, sondern mehrere Aspekte, die Einfluss auf den Erfolg haben. Je nachdem, wie meine Organisation tickt, brauche ich von dem einen etwas mehr und von dem anderen etwas weniger. Die erwähnte Kommunikation und die Mitgestaltung sind Beispiele dafür. Wir haben noch weitere in unserem Buch herausgearbeitet. Und zugleich: Diese Aspekte dürfen nicht als »Werkzeuge« verstanden werden, die man als Führungskraft mechanisch anwendet. Der wesentlichste Faktor, der mit der digitalen Transformation einhergehen muss, ist die Veränderung des Menschenbildes, das Führungskräfte in sich tragen. Konkret bedeutet das: In welcher Rolle sieht sich die Führungskraft selbst und was für einen Glauben hat sie in Bezug auf ihre Mitarbeitenden. Das alte Hierarchiegefälle hat ausgedient. Was es heutzutage braucht, ist eine Begegnung auf Augenhöhe. Von Mensch zu Mensch.

 

Sie berichten unter anderem von einem mittelständischen produzierenden Unternehmen, das mit einer neuen digitalen Dienstleistung die gesamte Nahrungsmittelindustrie revolutioniert hat. Oder von einem frisch gegründeten Produktteam, das bisherige Prozesse über Bord wirft, selbstständig agile Zusammen­arbeit lernt und dadurch dreistellige Millionenumsätze erwirtschaftet. Hatten die Unternehmen auch Glück mit Ihren Mitarbeitern?

Henrik Kehren: Glück hat auf Dauer nur der Tüchtige. Die Unternehmenskultur beziehungsweise das passende Wertesystem im Unternehmen entsteht nicht auf Anweisung und nicht über Nacht. Je nachdem, wo man startet, ist es ein sehr herausfordernder Prozess für alle Beteiligten. In der Folge etabliert sich jedoch idealerweise eine Denkweise und ein Umgang, der Mitarbeitern hilft, sich besser zu entfalten. Die porträtierten Unternehmen in unserem Buch zeigen, welche positiven Konsequenzen das haben kann.

Sebastian Purps-Pardigol: In jedem dieser Unternehmen gab es auch Widerstand und einen Teil der Mitarbeitenden, die erst einmal abwartend beobachteten, was die Veränderung für sie bedeutet. Oftmals war es nur ein kleiner Teil der Menschen, die »Hurra« riefen und sofort losrannten. Das lässt sich immer wieder beobachten. Zugleich lässt sich jedoch auch beobachten, dass die Abwartenden nach einigen Monaten auch zu Menschen werden, die beginnen, sich voll einzubringen. Die Unternehmen hatten statt Glück eher einen langen Atem.

 

Ist eine Digitalisierung ohne kul­turellen Wandel im Unternehmen überhaupt möglich?

Henrik Kehren: Für Unternehmen analogen Ursprungs ist ein kultureller Wandel essenziell. Um das Spektrum der digitalen Transformation zu erfassen und bezüglich der extremen Veränderungen als Firma reaktionsfähig und schnell sein zu können, bedarf es Kompetenz, der richtigen Einstellungen und Werte. Es reicht nicht, der Organisation Lean-Methoden, Scrum oder Design Thinking zu verordnen. Es ist ein digitales Mindset erforderlich. Oder anders: Wer Digitalisierung, das Internet der Dinge oder Industrie 4.0 will, kommt mit Kultur 0.4 nicht weit.

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Sebastian Purps-Pardigol ist Digitalsierungspionier, Organisationsberater und Keynote-Speaker. Er entwickelte bereits zur Jahrtausendwende digitale Geschäftsfelder für SonyMusic, gründete im Jahr 2010 mit dem Hirnforscher Dr. Gerald Hüther die Initiative Kulturwandel in Unternehmen und erforscht seitdem die Erfolgsmodelle mitarbeiterzentrierter Firmenkulturen. Seine Erkenntnisse publizierte Purps-Pardigol im Jahr 2015 in dem international verfügbaren Wirtschafts-Bestseller »Führen mit Hirn« (Campus). Mit seiner Beratergruppe Unternehmenswandel begleitet er Firmen dabei, die eigene Kultur zu verbessern und die digitale Transformation zu meistern.

Sebastian Purps-Pardigol is a leadership coach and organizational consultant. Renowned neurobiologist Professor Gerald Hüther encouraged him to combine the insights of brain research with management training methods. Together they founded the non-profit project ‚The Culture Change Code'.

 

Henrik Kehren ist Serienunternehmer, Digitalisierungsexperte und Keynote-Speaker. Er begleitete erfolgreich die familieneigene 1200+ mitarbeiterstarke Unternehmensgruppe und weitere namen-hafte Firmen durch Transformationsprozesse und den jeweils damit verbundenen Kulturwandel. Er entwickelte den auf einem wissenschaftlich anerkannten und validierten Diagnoseverfahren auf-bauenden Digital Culture Check, welcher die Ausprägung der jeweiligen digitalen Unternehmens-kultur misst und Potenziale aufzeigt. Seine derzeitige Firma kehren & partner unterstützt Kunden auf ihrem Weg, eine Unternehmenskultur für den digitalen Wandel zu schaffen. Einen Mindset, um sich in einer digitalen Welt zu behaupten.

 

 

16.02.2018

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