Wirtschaft und Gesellschaft

»Viele Probleme sind nicht mehr national lösbar, sondern bestenfalls auf europäischer oder internationaler Ebene.«

Der Nationalismus erstarkt, während die Globalisierung schwächelt. Henrik Müller, Autor von »Nationaltheater«, erklärt uns warum.

Ihr neues Buch »Nationaltheater« beschäftigt sich mit dem Großangriff auf unseren Wohlstand, der derzeit rund um den Globus läuft. Populisten gewinnen Wahlen. Der Erfolg von Donald Trump – eine historische Zäsur mit globalen Auswirkungen – ist ein prägnantes Beispiel von vielen. Warum erstarkt der Nationalismus gerade jetzt, während die Globalisierung schwächelt?

Henrik Müller: Es sind vor allem drei Faktoren, die dabei zusammenspielen: ökonomische, politische und mediale.

Das müssen Sie erklären!

Henrik Müller: Wenn wir uns die Entwicklung der Wirtschaft ansehen, stellen wir fest, dass Vieles unbefriedigend läuft. Das betrifft nicht nur die Abfolge von Finanzmarktkrisen, die uns im vergangenen Jahrzehnt ereilt hat. Viel wichtiger ist, dass viele Bürger mit stagnierenden oder sinkenden Einkommen klarkommen müssen. Das schürt den Frust, gerade auch über die Eliten in Politik und Wirtschaft. Dahinter steckt allerdings keine irgendwie geartete Verschwörung, wie Populisten den Bürgern versuchen weiszumachen. Vielmehr steigt die gesamtwirtschaftliche Produktivität kaum noch. Wir sehen das überall im Westen, zunehmend auch in den Schwellenländern.

Warum ist das ein Problem? Die Zahl der Beschäftigten entwickelt sich doch gerade in Deutschland ausgesprochen gut.

Henrik Müller: Stimmt. Aber in der Breite gibt es kaum noch Wohlstandszuwächse. Was nicht produziert wird, kann auch nicht verteilt werden. Das Thema des ausbleibenden Produktivitätsfortschritts gehört ganz oben auf die wirtschaftspolitische Agenda.

Sie sprachen auch von politischen Faktoren, die den Populisten in die Hände spielen. Was meinen Sie damit?

Henrik Müller: Viele Probleme nicht mehr national lösbar, sondern bestenfalls auf europäischer oder internationaler Ebene. Politik ist aber immer noch eine überwiegend nationale Veranstaltung. Dort wird dann so getan, als könne man drängende Probleme besser alleine lösen. So entsteht die Fiktion nationaler Regulierbarkeit. Zurecht erwarten die Bürger von den Eliten und den von ihnen geführten Institutionen, dass sie gesellschaftliche Probleme lösen. Aber die sind dazu nicht mehr in der Lage. Das sorgt für Frust, den die Populisten ausnutzen.

Leute wie Donald Trump bedienen sich virtuos sozialer Medien. Welche Rolle spielt der Wandel der Medien Ihrer Beobachtung nach?

Henrik Müller: Eine kaum zu überschätzende. Hochgradig wettbewerbsintensive Medienmärkte haben Aufmerksamkeit zur zentralen Währung erhoben. Nur wer im hektischen Geschäft der traditionellen, digitalen und sozialen Medien Erwähnung findet, existiert auf dem politischen Markt.

War das nicht immer so?

Henrik Müller: In gewisser Weise schon. Aber früher musste alles, was an die Öffentlichkeit gelangte, durch den Filter professioneller Journalisten, die als »Torwächter« Sinn von Unsinn und Wahres von Falschem trennten. Viel Schmutz blieb darin hängen und gelangte gar nicht erst an die Öffentlichkeit. Über die sozialen Medien – Twitter, Facebook, Youtube – lassen sich sich diese Filter heute umgehen. Sie stellen direkte Kanäle zur Öffentlichkeit dar. So kommt es, dass das Negative und Schrille dominiert – während das Abgewogene und Nachdenkliche kaum noch eine Chance hat. 

Sie schreiben: »Politik verkommt zum Nationaltheater«. Was genau verbirgt sich hinter dem Vorhang?

Henrik Müller: Viel Lärm! Der öffentliche Diskurs ergeht sich zunehmend in Lärmspiralen. Kalkulierter Tabubruch wird zum Prinzip. Eine rasche Abfolge von Zerrbildern prägt inzwischen das Selbstverständnis von Gesellschaften. Am Ende bleibt als Eindruck, dass alles immer schlimmer wird. Nationalpopulisten ersetzen die Schaffung tatsächlicher Handlungsfähigkeit durch die Fiktion nationaler Regulierbarkeit. Am Ende werden sie scheitern. Wo sie Gelegenheit dazu bekommen, wird ihr Kurs unseren Wohlstand gefährden und unser Leben unsicherer machen. In einer Welt, in der sich die Nationen in vielerlei Hinsicht – ökonomisch, ökologisch, sicherheitspolitisch – wechselseitig beeinflussen, ist Abschottung keine vernünftige Option.

Eine Ihrer Thesen lautet: Wir brauchen nicht mehr Nation, sondern echte gemeinsame (übernationale) Governance. Wie könnte diese konkret aussehen?

Henrik Müller: Man muss trennen zwischen Nation und Nationalstaat. Wir werden uns weiterhin als Deutsche, Franzosen oder Niederländer verstehen. Warum auch nicht? Das sind gewachsene Identitäten, die man nicht versuchen sollte, den Menschen zu nehmen. Der Nationalstaat hingegen war das Ordnungsprinzip des 19. Jahrhunderts. Und lange Zeit war er aus ökonomischer Sicht hochgradig erfolgreich. Aber wir sind inzwischen darüber hinausgewachsen. Wir leben in einer Welt internationaler öffentlicher Güter, die sich nicht an nationale Grenzen halten. Dafür brauchen wir neue Formen der Über-Staatlichkeit. 

Gibt es die nicht längst? Schließlich haben wir die Europäische Union.

Henrik Müller:Stimmt, die EU war ein Versuch, den Nationalstaat mit einer übernationalen Struktur zu überwölben. Die derzeitigen Auflösungserscheinungen innerhalb der EU jedoch machen deutlich, dass es nicht genügt, immer mehr Aufgaben an Technokaten bei nationalen Regierungen und in Brüsseler Behörden zu delegieren. Es braucht neue Formen der demokratischen Mitwirkung auf europäischer Ebene. Und auch neue Formen von grenzüberschreitenden Medien, damit wir lernen, aus unseren nationalen Schneckenhäusern herauszuschauen.

Sie zeigen in Ihrem Buch, dass gerade für den Exportmeister Deutschland diese schleichende Deglobalisierung fatal ist, da sie unser  Geschäftsmodell infrage stellt. Was wäre die richtige politische Konsequenz?

Henrik Müller: Schwierige Frage. Deutschland mit seiner florierenden Exportindustrie und seinem inzwischen sehr großen Auslandsvermögen verlässt sich darauf, dass die Weltwirtschaft offen bleibt und unsere Schuldner rund um den Globus solvent bleiben. Derzeit erleben wir einen schleichend um sich greifenden Protektionismus, der das Potenzial hat, in einen Handelskrieg auszuarten. Auch die nächste Finanzkrise könnte näher sein als wir glauben. Gerade für Deutschland hätte das gravierende Konsequenzen. Was wir tun können? Mehr investieren. Wir müssen mehr tun: sowohl was unsere eigene Gesellschaft angeht – in Form von Bildung, Forschung und sonstiger Infrastruktur –, als auch was die Stabilisierung Europas angeht.

Wir befinden uns derzeit offenbar in einer ökonomischen, demographischen, ökologischen und sicherheitspolitischen Sackgasse. Können wir dort wieder herausfinden?

Henrik Müller: Natürlich. Aber dazu bedürfte es einer großen globalen Kraftanstrengung. Was die Wirtschaft betrifft, skizziere ich  in meinem Buch, wie ein globaler Neustart aussehen könnte. Ein solcher Pakt gegen den Stillstand würde aus vier Säulen bestehen: einem globalen Schuldenabbaupakt, einem globalen Hartgeldpakt, einem globalen Investitionspakt, gerade mit Blick auf klimaförderliche Energiegewinnung und Verkehrssysteme, sowie einem globalen Innovationspakt, um die menschliche Kreativität zur Lösung der anstehenden längerfristigen Probleme anzuregen.

Wie hoch schätzen Sie denn die Chancen für solche Überlegungen ein?

Henrik Müller:Nun ja, dergleichen ist derzeit nicht einmal in der Diskussion. Aber das darf uns doch nicht davon abhalten, konstruktive Ideen für die Zukunft zu entwickeln.

 

Zum Autor

Henrik Müller, Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus an der TU Dortmund, war zuvor viele Jahre stellvertretender Chefredakteur des manager magazins. Der promovierte Ökonom ist Träger mehrerer renommierter Journalistenpreise und Autor diverser Bücher zu wirtschaftspolitischen Themen. 2014 erschien sein Buch "Wirtschaftsirrtümer".
 
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20.03.2017

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Nationaltheater
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